Internationales Kolloquium DFK Paris, 11.–12. März 2024
Konzept & Organisation:
Markus A. Castor (DFK Paris)
Martin Schieder (Universität Leipzig)
Marlen Schneider (Université Grenoble Alpes/LARHRA)
„Meine Kinder, ich warne euch: Das bin nicht ich. An einem Tage hatte ich hundert verschiedene Gesichter, je nach den Umständen, von denen ich betroffen war. Ich war heiter, traurig, verträumt, zärtlich, heftig, leidenschaftlich, enthusiastisch; aber nie war ich so, wie ihr mich hier seht.“
Mit diesen Worten empörte sich Denis Diderot über sein eigenes, von Louis Michel Van Loo gemaltes Portrait, das 1767 im Salon der Académie royale de peinture et de sculpture ausgestellt wurde. Seine Kritik spiegelt die oft widersprüchlichen Herausforderungen der Portraitkunst im 18. Jahrhundert wider: Als Mittel sozialer Distinktion, als Gegenstand des Andenkens, oder als Ausdrucksträger von Gefühlen sollte das Portrait dazu dienen, sowohl die Persönlichkeit des Individuums als auch dessen Rang in der Gesellschaft zu erfassen. Mehr noch, zu den antagonistischen Prinzipien der Ähnlichkeit und der Idealisierung trat die Erwartung hinzu, dass das Portrait von hoher künstlerischer Qualität sein müsse, was ihm nach Diderot seine eigentliche Bedeutung für künftige Generationen verleihe: „Das von einem Schmierfinken zusammengeschusterte Portrait stirbt mit der Person, dasjenige eines kunstfertigen Mannes bleibt für immer.“
Tatsächlich war die Portraitkunst im Zeitalter der Aufklärung in ganz Europa von einer außergewöhnlichen Vielfalt geprägt. In den Jahrzehnten zwischen dem Höhepunkt des Absolutismus und den politischen, sozialen und intellektuellen Umwälzungen der Revolutionszeit ist das Portrait von einem außergewöhnlichen künstlerischen Reichtum gekennzeichnet. Es wurde zum Spiegel einer sich wandelnden Gesellschaft, zum Ausdrucksmittel einer bis dahin unbekannten „Physiognomisierung“ der Öffentlichkeit (Willibald Sauerländer). Könige, der Adel der Hauptstadt und der Provinzen, wohlhabende Bürger, Künstler und Intellektuelle, Männer, Frauen und Kinder wurden mit einer bis dato ungekannten Variabilität dargestellt, je nach ihrem sozialen Status und je nach den Aufgaben und Funktionen des Portraits. Zwischen machtpolitischer Demonstration und Darstellung persönlicher Gefühlslagen, zwischen verschönernder Maskerade und wahrheitsgetreuer Ähnlichkeit schwankend, existierten zeitgleich die unterschiedlichsten Formen der Darstellung und waren einem ständigen Wandel unterworfen, der von einer Ausdifferenzierung des Geschmacks und der Moden begünstigt wurde. Ebenso trugen die Veränderungen auf dem Kunstmarkt sowie die allmähliche Etablierung öffentlicher Ausstellungen zur Vielfalt der Portraitkunst bei, institutionelle Kodifizierungen wichen außerakademischen Urteilen. Nicht zuletzt zeugt die mit der „niederen“ Gattung erblühende Porträtkritik von dem Spannungsfeld zwischen den gesellschaftlichen Funktionen der Bildnisse einerseits und einem künstlerisch-autonomen Anspruch andererseits – eine Polarisierung, die wesentlich zur Dynamik des Porträts beigetragen hat.
Eine eingehende Analyse dieser fundamentalen Veränderungen in der Portraitkunst des 18. Jahrhunderts gehört noch immer zu den Desideraten der Kunstgeschichte, obwohl in den letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten erschienen ist, die sich anschickt, unsere Sicht zu ändern. Es geht darum, die zumeist monografischen Ansätze, die sich auf einen Künstler oder einen Portraittyp konzentrieren – etwa das königliche Portrait, das Künstlerbildnis oder das mythologische Portrait – zu erweitern und zu überwinden. Daher möchte das Kolloquium die Portraitkunst aus multiplen Perspektiven untersuchen und nach den sozialen, geistesgeschichtlichen, künstlerischen sowie materiellen Bedingungen der Bildgattung fragen. Dabei gilt es, deren Entwicklung in der Epoche der Aufklärung vom französischen Kontext ausgehend nachzuzeichnen und gleichzeitig den Blick auf eine europäische Perspektive zu öffnen. Welche Konzepte und Themen prägten die Debatten um das Portrait und wie war das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis dieser Kunstgattung, die von den Literaten verpönt, vom Publikum aber außerordentlich geschätzt wurde? Wie veränderten sich Gebrauch und Funktionen von Portraits und welche Auswirkungen hatte dies auf die Produktion und die Materialität dieser Objekte? Mittels welcher Mechanismen und Netzwerke zirkulierten die in Paris entwickelten Portraitmodi in den verschiedenen europäischen Kunstzentren, wie etwa London, Madrid, Rom und Wien, aber auch Sankt-Petersburg oder Stockholm?
Ziel der Tagung soll es sein, diese unterschiedlichen Determinanten der Gattung in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu beleuchten. So hat die thematische, aus den Konventionen des soziokulturellen Kontexts erklärbare Öffnung der Kunst, etwa für das Familienportrait, Miniaturen oder die Reflexion auf Moden und Körperbilder, Konsequenzen für die technische und materielle Gestaltung der Werke, die selbst wiederum von der Leistung des Handwerks, der Werkstattpraktiken und den ökonomischen Bedingungen abhängig war. Dem höfischen Transfer gesellten sich merkantile Aspekte und neue Medien des Vertriebs von Vorbildern und Modellen hinzu, welche internationale Trends befeuerten beziehungsweise mit lokalen Traditionen konkurrierten. Nur in der Analyse dieser Interdependenzen des 18. Jahrhunderts läßt sich die so komplexe Erfolgsgeschichte des Portraits verstehen.
Wir denken an Beiträge, die als Fallstudien, quantifizierende Analysen oder kontextbezogene Interpretationen die Aspekte von soziokulturellen Bedingungen, theoretischem Diskurs der Zeit, technischen und materiellen Innovationen sowie Transfer und Zirkulation des Portraits befragen. Vorschläge zu einem 25minütigen Beitrag in französischer, deutscher oder englischer Sprache (max. 800 Wörter) sowie einen kurzen CV erbitten wir bis zum 15. September 2023 als Mail an die Veranstalter.
Marlen Schneider: marlen.schneider(at)univ-grenoble-alpes.fr
Martin Schieder schieder(at)uni-leipzig.de
Markus A. Castor mcastor(at)dfk-paris.org