
Wissen entgrenzen
Internationales Forschungsprojekt der Max Weber Stiftung
Von 2019 bis 2021 verfolgte das großangelegte Forschungsprojekt „Wissen entgrenzen: Internationalisierung, Vernetzung, Innovation in der und durch die Max Weber Stiftung“ das Ziel, innovative Forschungsfelder zu erschließen. Zugleich stärkte das Projekt aber auch die weitere Internationalisierung der Stiftungstätigkeit und trug dazu bei, die Kooperation sowie Vernetzung zwischen den Instituten der Stiftung und externen Partnern auszubauen. Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und war auf eine Laufzeit von drei Jahren ausgelegt.
Der Titel spiegelt die grundlegende Ausrichtung des Projektes wider: Unter der Maxime „Wissen entgrenzen“ wurde der Blick auf ausgewählte Forschungsräume gerichtet – diese umfassten neben Europa Schlüsselregionen wie Afrika, den Nahen und Mittleren Osten sowie den pazifischen Raum. Sie wurden über ihre bislang wenig erforschten Wissensbeziehungen neu vermessen und miteinander in Bezug gesetzt. Das Projekt setzte sich aus zwei verschiedenen Modulen zusammen:
Modul I: „Räume, Akteure und Beziehungen des Wissens“
- Teilmodul 1a:
Wissen und Wissensbeziehungen im ideologischen Raum: Mobilität und Migration von Studierenden aus Westasien und Nordafrika in die Staaten des 'Ostblocks' - Teilmodul 1b:
Interaktionen und Wissensströme: Verflechtungs- und Entflechtungsprozesse im pazifischen Raum
Modul II: „Grenzen des Wissens“
- Teilmodul 2a:
Genueser Handelsnetzwerke in Afrika und jenseits des Atlantiks (ca. 1450–1530) - Teilmodul 2b:
Medialisierung und Emanzipation - Teilmodul 2c:
Performanz von Kultur, Religion und Körper als Strategien der Selbstermächtigung in der Islamischen Republik Iran
Modul I umfasste zwei international agierende Forschungsgruppen. Innerhalb des ersten Forschungsverbundes befassten sich das OI Beirut mit seinem Büro in Kairo, das DHI Warschau und das DHI Moskau mit dem Thema „Wissen und Wissensbeziehungen im ideologischen Raum: Mobilität und Migration von Studierenden aus Westasien und Nordafrika in die Staaten des 'Ostblocks'“. Weitere externe Partner waren das Forum Transregionale Studien, das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, die American University of Beirut, das Arab Council for the Social Studies, Beirut, das Zentrum für Irak-Studien, Beirut, das Institut für Palästina-Studien, Beirut, das Higher Institute of Arts Criticism, Cairo , das Centre d’Études Franco-Russes de Moscou und das Centre d´études Maghrebines à Tunis. Außerdem bestanden Partnerschaften mit den Universitäten Freiburg, Leipzig und Marburg sowie den Universitäten in Algier, Rabat, Teheran und Tunis. Es sollte ergründet werden, wie sich die Bildungsmobilität von den 1950er Jahren bis 1991 zwischen den Ländern des ehemaligen Ostblocks und den Regionen Westasien sowie Nordafrika gestaltete und wie dadurch die transnationalen Beziehungen geprägt wurden. Besonderes Augenmerk galt dabei den Geistes- und Sozialwissenschaften.
In der zweiten Forschungsgruppe arbeiteten das DHI Moskau, das DHI Washington mit seinem Pacific Regional Office Berkeley, das DIJ Tokyo mit seiner Forschungsgruppe in Singapur und das China Branch Office in Peking gemeinsam an dem Thema „Interaktionen und Wissensströme: Verflechtungs- und Entflechtungsprozesse im pazifischen Raum“. Weitere externe Partner waren die National University of Singapore, die Beijing Foreign Studies University, die University of California, Berkeley, die École Française d’Extrême Orient, die Hankuk University of Foreign Studies, Seoul, die Hokkaido University sowie die Ludwig-Maximilian-Universität München. Darüber hinaus wurde eine Partnerschaft mit dem East West Center in Honolulu angestrebt. Die Forschungsgruppe widmete sich in ihrer Untersuchung insbesondere den beiden Themenfeldern „Migration und Mobilität“ sowie „Umwelt, Klima, Energie“. Da es sich hierbei um grenzüberschreitende Phänomene handelt, eignet sich eine transnational angelegte Forschungsgruppe in besonderem Maße für die Analyse dieser Aspekte. Für den Pazifik als Untersuchungsgegenstand sprechen zudem die – im Vergleich zum Atlantik – rasanten Entwicklungen in dieser wichtigen globalen Zukunftsregion.
In Modul II waren die drei Standing Working Groups organisiert. Diese international besetzten Gruppen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern trafen sich während des gesamten Projektzeitraumes regelmäßig an wechselnden Orten, um neue Forschungsgebiete zu erschließen und wissenschaftsgeleitete Fragestellungen zu entwickeln. Auf diese Weise erhielten die Institute der Max Weber Stiftung wertvolle Impulse für ihren Forschungsauftrag in der jeweiligen Region.
Die Standing Working Group des DHI Rom untersuchte zusammen mit italienischen, US-amerikanischen sowie nord- und südafrikanischen Partnern „Genueser Handelsnetzwerke in Afrika und jenseits des Atlantiks (ca. 1450–1530)“ und die Bedeutung der Zirkulation von Menschen, Objekten und Institutionen zwischen Mittelmeer- und atlantischem Raum. Im Zuge des Forschungsvorhabens wurde das etablierte Narrativ von der Entstehung des Kapitalismus im Nordeuropa des 18. Jahrhunderts kritisch hinterfragt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eruierten, in welchem Umfang sich ähnliche Strukturen (auch unabhängig von europäischem Einfluss) im „Globalen Süden“ herausbildeten.
Die Standing Working Group des DHI London zum Thema „Medialisierung und Emanzipation“ verband die Partner MWF Delhi, OI Beirut, DHI Washington, die London School of Economics and Political Science, das Centre for the Study of Developing Societies, Neu-Delhi und das Centre for Modern Indian Studies der Universität Göttingen. Die Forschung fragte nach Wechselwirkungen zwischen dem Aufstieg von Massenmedien und Emanzipationsbewegungen im langen 20. Jahrhundert. Sie konzentrierte sich auf Frauen, als die größte sich emanzipierende Bezugsgruppe, und die mediale Zirkulation sowie Rezeption von feministischen Ideen innerhalb eines globalen Kontextes.
Mit der „Performanz von Kultur, Religion und Körper als Strategien der Selbstermächtigung in der Islamischen Republik Iran“ beschäftigte sich die Standing Working Group des OI Istanbul gemeinsam mit Partnern in Deutschland, der Türkei, Iran, Frankreich und Pakistan. Im Fokus standen dabei soziokulturelle Veränderungen vor allem in Iran, aber auch der Türkei und Pakistan. Diese Prozesse sind stark beeinflusst von nationalen und internationalen Migrationsbewegungen und einer rasant wachsenden Urbanisierung, die sich vor dem Hintergrund medialer Globalisierungsprozesse und wechselseitiger kultureller Einflüsse abspielen. Die Standing Working Group untersuchte dabei auch, wie die politischen Eliten dieser Länder versuchen, die zu beschreibenden Prozesse in ihrem Sinne zu steuern.