Was bedeutet es für Menschen, wenn sie ihre Heimat zwangsweise verlassen müssen und über viele Jahre im „Transit“ leben und lediglich geduldet werden, ohne die Perspektive Wurzeln zu schlagen, geschweige denn die Hoffnung auf Rückkehr zu hegen? Wie gestaltet sich ihr Alltag und welches Wissen benötigen sie, um zu überleben? Wie wird dieses Wissen weitergegeben und wie gelingt der Neuanfang?
Diesen, in der heutigen Zeit für Millionen von Menschen drängenden Fragen mussten sich auch Jüdinnen und Juden stellen, als sie aus dem nationalsozialistischen Europa flohen und in Ländern des Globalen Südens eine Zuflucht fanden. Ein Beispiel dafür ist die Ausnahmemusikerin und Komponistin Ruth Schönberg, die aus Österreich nach Berlin und von Stockholm über Moskau nach Mexiko flüchtete, wo sie über das Kriegsende hinaus blieb. Andere jüdische Emigranten hin-gegen lebten noch viel länger im Transit und mussten sich – wie die Juden aus Shanghai, Iran oder Indien – 1945 wieder mit ungewissem Ziel auf den Weg machen; nun zeitgleich mit vielen anderen und sehr unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen. Zu ihnen gehörten Millionen Vertriebene aus den ehemals deutschen und polnischen Ostgebieten ebenso wie politisch Verfolgte oder Nationalsozialisten, die sich ihrer Strafe entziehen wollten und sich dafür vor allem in Länder Latein-amerikas absetzten.
Diese Situation eines jahrlangen Lebens im Transit nehmen über 30 Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher aus Deutschland, den USA, Großbritannien, Indien, Argentinien, Mexiko, Chile und Kolumbien zum Ausgangspunkt, um historischen Perspektiven von Zwangsmigration und Transiterfahrungen in diesen und anderen Ländern nachzugehen.
Im Rahmen der Konferenz „In Global Transit: Forced Migration of Jews and other Refugees (1940s-1960s)“ wird damit ein hochinnovativer Perspektivenwechsel vorgenommen. Die Organisatorin und Direktorin des DHI Washington, Prof. Dr. Simone Lässig streicht heraus, dass sich „die bisherige Forschung zu diesem Thema insbesondere auf die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Palästina konzentrierte, wo europäische Juden ihre Flucht vor dem Nationalsozialismus beendeten. Die Länder des globalen Südens, in denen die Flüchtlinge Schutz vor Verfolgung, aber nur selten eine neue Heimat fanden, blieben bisher ebenso unterbelichtet wie die Tatsache, dass sie sich nach 1945 wieder auf die Suche nach einem Ort zum Bleiben machen mussten und damit eine ganze Lebensphase im Transit verbracht haben.“
Berkeley bildet als Austragungsort der Konferenz einen doppelten Nukleus. Es bringt nicht nur internationale Fachexperten zu dieser neuen Forschungsperspektive zusammen; sondern es wurde auch selbst, im Herzen der kalifornischen Bay Area gelegen, für viele Zwangsvertriebene aus Nazideutschland, der UdSSR und anderen Ländern eine neue Heimat.
Aktuelle Fragen mit historischer Tiefendimension zu versehen, ist eines der Anliegen der Max Weber Stiftung, die geistes- und sozialwissenschaftliche Spitzenforschung durch ihre Institute in Beirut, Istanbul, London, Moskau, Paris, Rom, Tokyo, Warschau und Washington DC fördert. Die neuen Standorte in Berkeley, Delhi und Peking bieten dabei besonderes Potential, da sie neue Forschungsansätze und Blickwinkel aus den jeweiligen Gastländern bzw. die für die Migration und Flucht zentralen Regionen in die Debatte einbringen.
Weitere Informationen und Programm: https://www.ghi-dc.org/events-conferences/event-history/2019/conferences/in-global-transit.html?L=0
Weitere Informationen zur Konferenzreihe:
Dr. Sarah Beringer
Head of Strategy & Communications
German Historical Institute Washington DC
1607 New Hampshire Ave NW
Washington, DC 20009
Phone +1 202 387-3355
Mailto: beringer(at)ghi-dc.org