Metamorphosen des Politischen

Das Projekt ‚M. S. Merian – R. Tagore International Centre of Advanced Studies‘ (ICAS:MP) in Neu-Delhi wird seit 2015 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Im Sommer 2018 wurde das Projekt erfolgreich in die Hauptphase überführt. Thema des Centre sind die Metamorphosen des Politischen im langen 20. Jahrhundert (Metamorphoses of the Political in the Long Twentieth Century).

Es handelt sich um ein deutsch-indisches Gemeinschaftsprojekt, das von 

  • dem Zentrum modernes Indien der Universität Würzburg,
  • dem Centre for Modern Indian Studies (CeMIS) der Universität Göttingen,
  • dem Centre of the Study of Developing Societies (CSDS), Neu-Delhi,
  • dem Institute of Economic Growth (IEG), Neu-Delhi,
  • dem Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt sowie
  • der Max Weber Stiftung und dem ihr zugehörigen Deutschen Historischen Institut London

getragen wird. Der Hauptsitz von ICAS:MP befindet sich in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi und wird von einem binationalen Direktorium geführt.

ICAS:MP widmet sich der Untersuchung der wechselhaften Geschichte ‚des Politischen‘ im langen 20. Jahrhundert unter Berücksichtigung einer vergleichenden Perspektive. Die Unterscheidung zwischen ‚der Politik‘ und ‚dem Politischen‘ gilt als richtungsweisendes Paradigma innerhalb der modernen Geisteswissenschaften. Die Politik steht hierbei für die bekannten Institutionen und Verfahrensweisen des politischen Betriebes, also die konkrete politische Praxis. Das Politische bezeichnet hingegen die allgemeinere Sphäre der konfligierenden politischen Überzeugungen sowie den öffentlichen Raum, in dem die Gesellschaft über ihre Verfasstheit verhandelt. Der Fokus von ICAS:MP liegt auf der Erforschung politscher Prozesse, welche sich in verschiedenen Regionen während des 20. Jahrhunderts ereigneten.

Der Untersuchungszeitraum für den globalgeschichtlichen Ansatz des Projekts ist bewusst gewählt, da sich in dieser Epoche vergleichbare Phänomene des Politischen in einer immer enger miteinander verflochtenen Welt ausmachen lassen und einige in jener Zeit angestoßene Prozesse und Entwicklungen bis in die Gegenwart hineinreichen. In Anbetracht der veränderten Rolle des Nationalstaates, dem Aufkommen neuer sozialer Bewegungen und dem Kampf politischer Ideologien um die Hegemonie ist es offensichtlich, dass das Politische einem beständigen Wandel unterworfen ist. Was gehört zum Bereich des Politischen und wer befindet darüber?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr die politische Sphäre eine immense Aufladung, da es nun erstmals einer breiten Bevölkerung möglich war, an den institutionellen Prozessen zu partizipieren und ihre Anliegen beispielsweise in Form der ‚sozialen Frage‘ vorzubringen. Diese neuen Partizipationsmöglichkeiten wurden teils mit Argwohn betrachtet, da man die Sorge hatte, die Masse sei nicht in der Lage zu regieren oder könne manipuliert werden. Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte wurden Imperialismus und Kolonialismus weitgehend überwunden, sodass in einigen Regionen der Welt nichts dem Siegeszug der Demokratie entgegen zu stehen schien. Dennoch handelte es sich um ein ideologisches Zeitalter, das seine Zuspitzung in der Blockbildung des Kalten Krieges fand. Von diesen Ereignissen und Erfahrungen beeinflusst sowie angetrieben, kam es vor allem auf den Feldern der Sozial- und Politikwissenschaften, aber auch der Philosophie und Kulturgeschichte zu einer Ausdifferenzierung der Begrifflichkeiten von ‚Politik‘ und dem ‚Politischen‘. Manche Gelehrte kamen gar zu der Ansicht, das Politische sei gegen Ende des letzten Jahrhunderts vollkommen in einer neoliberalen Ordnung aufgegangen und somit gleichsam zum Stillstand gekommen.

Das Politische ist jedoch keineswegs in der Bedeutungslosigkeit versunken, wie es beispielsweise die Ereignisse des arabischen Frühlings beweisen, sondern zeigt sich wandlungsfähiger denn je, indem es neue Felder sozialer Praktiken besetzt, sich von anderen abwendet und weiterhin in direkter Interaktion mit der Politik steht. Das Projekt ICAS:MP hat es sich zum Ziel gesetzt, die Konzeptualisierung, Artikulation aber auch konkrete Ausübung des Politischen aus einem interdisziplinären Blickwinkel zu untersuchen. Dabei haben die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gelegenheit, die ihnen und ihrem Fachbereich spezifischen Methodiken einzusetzen und so einen neuen, multiperspektivischen Zugriff auf den Gegenstand zu erhalten. ICAS:MP vereint Anthropologie, Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft, Geschlechterforschung und Ökonomie.

Ein essentielles Anliegen des Projekts ist es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ähnlich gelagerten Forschungsfragen miteinander in Dialog zu bringen, die bisher aufgrund ihrer regionalen Spezialisierung noch keine Berührungspunkte hatten. Zu diesem Zweck wurde ICAS:MP als modulares Kooperationsnetzwerk konzipiert. Im Zentrum befindet sich das namensgebende Modul „Metamorphoses of the Political“ als rahmengebende und organisatorische Instanz. Daneben existieren sieben autonome, nach Themen unterschiedene Module, die sich auf folgende Schwerpunkte fokussieren:

  • TM1: History as a Political Category
  • TM2: Labour as a Political Category
  • TM3: Critiques and Renewals of Democracy
  • TM4: Normative Conflicts and Transformations
  • TM5: The Challenge of Gender
  • TM6: Political Economy of Growth and Distribution
  • TM7: Media and the Construction of the Political

Kontakt:

Dr. Laila Abu-Er-Rub

Scientific Manager

abu-er-rub(at)mwsindia.org

 

Diese Module bieten internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Fellowship-Programm, organisieren Workshops und erarbeiten Pilotprojekte. Sie drehen sich um Leitfragen wie „Was gehört zur Sphäre des Politischen an bestimmten Schauplätzen?“, „Welcher materielle und normative Einsatz ist notwendig, um Einfluss auf das Politische nehmen zu können?“, „Bestehen Unterschiede zwischen der westlichen und nicht-westlichen Welt? Gibt es Parallelen oder Verbindungslinien?“.

ICAS:MP soll als kollaboratives Projekt die interdisziplinäre und internationale Forschung vorantreiben, um konventionelle Thesen und Denkmuster zu überschreiten sowie neue Erkenntnisse und Perspektiven zu fördern.