In den Wissenschaften wird zumeist gesprochener oder geschriebener Text verwendet, um Ergebnisse zu veröffentlichen. Was passiert aber, wenn man stattdessen ein Videospiel entwickelt? Was sich die Wissenschaften von dieser Vorgehensweise erhoffen können, und inwiefern sie den Forschungsprozess beeinflusst untersucht Christina Polak-Rottmann am DIJ Tokyo.
Bei der Betrachtung des Begriffs „Wissenschaft“ wird bereits deutlich: Wissen wird auf eine bestimmte Art und Weise geschaffen. Sich dabei an ein Regelsystem zu halten, legitimiert das zusammengetragene Wissen als ‚wissenschaftlich‘: Inhaltlich soll es auf bestehendem Wissen aufbauen und objektiv sowie systematisch erarbeitet sein, sodass der Text von allem befreit ist, was für die Beantwortung einer Fragestellung vermeintlich unwesentlich ist. Doch wenn wir dieses Regelsystem nicht fortlaufend hinsichtlich seiner Sinngemäßheit überprüfen, riskieren wir, Dinge auszuklammern, die für das Verständnis eines bestimmten Phänomens relevant sein könnten.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedenster Forschungsrichtungen hinterfragen dieses Regelsystem daher immer wieder. Donna Haraway beispielsweise zeigt in ihrem Konzept des situierten Wissens, dass Wissensproduktion niemals neutral und objektiv sein kann, da wir abhängig von unseren persönlichen Erfahrungen und Lebensgeschichten Gedanken formulieren. Was wir als ‚objektiv‘ bewerten, gebe daher weniger Aufschluss über die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern sei vielmehr ein Ausdruck der Machtverhältnisse, in denen bestimmte Arten von Wissen zugelassen und andere von vornherein ausgeschlossen werden.
Auch die Wahl des Kommunikationsmittels zur Veröffentlichung der Ergebnisse, so einige Forscherinnen und Forscher, trage erheblich dazu bei, welches Wissen produziert werden kann. Wie man von uns erwartet, zu schreiben, beeinflusst, worüber wir schreiben können, hält die Soziologin Laurel Richardson 2002 fest. Die gewählte Form der Datenrepräsentation bedingt, welche Erkenntnisse wir zutage fördern können, sodass das Medium immer Teil der Botschaft ist, schreibt der Bildungswissenschaftler Elliot Eisner 1992. Die Verschriftlichung ist demnach nicht nur das Endergebnis des Forschungsprozesses, sondern auch eine Methode, durch die die Erkenntnisse weiter geformt und geprägt werden. Aus diesem Grund probieren viele dieser Forschenden auch andere Formen der Datenrepräsentation aus, um zu verstehen, wie sich der Erkenntnisgewinn dadurch verändert. Wie das konkret aussehen kann, möchte ich im Folgenden kurz anhand eines Beispiels aus meiner Forschung erläutern, in der ich Game Design als Methode der Wissensproduktion ausprobiere.
Fehlschläge, Räumlichkeit und Spaß: Ein Spiel über Feldforschung
Für dieses Forschungsprojekt arbeitete ich mit einem japanologischen Anthropologen zusammen, der die Idee, seine Forschungsergebnisse in ein Videospiel zu verwandeln, ebenfalls interessant fand. Im Zuge dessen habe ich ihn auf seinen Feldforschungsaufenthalten in die ländlichen Regionen Japans begleitet und wir haben gemeinsam darüber reflektiert, wie sich der Forschungsprozess durch diese Herangehensweise verändert.
Ein ausschlaggebender Punkt zu Beginn unseres gemeinsamen Projektes war dabei meine eigene fachliche Ausrichtung als japanologische Spieleforscherin. So habe ich ihn von Anfang an mit spezifisch spielerischen Fragen konfrontiert, wie zum Beispiel: Was sind seiner Meinung nach die Spielregeln beim Feldforschen? Wie kann man gewinnen, wie verlieren – und geht das überhaupt? Dadurch machte sich mein Kollege plötzlich wesentlich mehr Gedanken über Ereignisse in seinem Forschungsprozess, die er zuvor als ‚Sackgassen‘ ausgeklammert hatte. Wir kamen zu dem Schluss, dass auch Fehlschläge zu den Forschungsergebnissen zählen, und ein Spiel, das diese naturgemäß als Stilmittel anbietet, dabei unterstützt, diesen Aspekt auch zum Ausdruck zu bringen.
Aus der Notwendigkeit heraus, ein audiovisuell wahrnehmbares, räumlich erkundbares Spiel zu gestalten ergaben sich später beim Design des Spiels jedoch auch neue Herausforderungen. Ich war dazu gezwungen, mir Gedanken darüber zu machen, wen ich wie abbilden würde, oder wo ein bestimmter Ort beginnt und wo er endet – zum Beispiel eine verlassene Volksschule in einem Dorf. Texte vergeben diesbezüglich ein wenig Ungenauigkeit oder ermöglichen es, abstraktere Beschreibungen zu wählen, doch audiovisuelle Medien erfordern hier Präzision. Zugleich wird dadurch, dass die ursprünglich visuelle Wahrnehmung der Volksschule nicht mehr in Text übersetzt werden muss, sondern direkt auf visuellem Weg vermittelt werden kann, auch die Kommunikation der Erkenntnisse klarer und der Forschungsprozess transparenter. So wird der Idee Raum gegeben, dass das Phänomen einer „verlassenen Volksschule“ nicht nur ein gedankliches Konzept, sondern auch ein audiovisuell erkundbarer Ort ist. Insgesamt ergibt sich daher ein abgerundeteres Bild der Forschungsinhalte.
Schließlich hob das Game Design noch einen weiteren Punkt hervor: Forschen macht Spaß! Das Spielen mit den Daten, das oft nach dem Trial-and-Error-Prinzip erfolgt, ist dabei ein wichtiger Teil des Erkenntnisprozesses. Im Medium Spiel können diese Erfahrungen direkt zum Ausdruck gebracht und auch von den Spielerinnen und Spielern vollzogen werden, da Spiele üblicherweise ein bestimmtes Maß an interaktiver Auseinandersetzung mit den Inhalten voraussetzen. Auch hier zeigt sich also, dass durch die Einbettung des Forschungsprozesses in ein Spiel transparenter zum Ausdruck gebracht werden kann, wie sich dieser abgespielt hat und welche Handlungen und Ereignisse dabei von Bedeutung waren.
Die Vorteile des Regelbruchs
Wissenschaftliches Game Design bringt bestimmte Effekte mit sich, die man durchaus als Vorteile begreifen darf. In mancherlei Hinsicht wird dadurch adäquater abgebildet, wie der Forschungsprozess tatsächlich stattfindet. Dies soll aber nicht bedeuten, dass keine Texte mehr in der Wissenschaft geschrieben werden sollen oder Spiele sich am besten dazu eignen, wissenschaftliche Erkenntnisse abzubilden. Gerade eine Kombination der diversen Ausdrucksmöglichkeiten führt dazu, dass wir der Mehrdimensionalität der Phänomene, die wir untersuchen, gerecht werden können.
Publikationsmethoden abseits der Verschriftlichung zu wählen ist in der derzeitigen wissenschaftlichen Landschaft gewissermaßen ein Regelbruch. Dieser kann jedoch ein Mittel sein, Machtstrukturen und hegemoniale Vorstellungen der Wissensproduktion zu durchbrechen. Er birgt außerdem das Potenzial, den Erkenntnisgewinn zu bereichern und Richtungen aufzuzeigen, in die weitergedacht werden kann. Es zahlt sich daher aus, ihm eine Chance zu geben und herauszufinden, was danach kommt.
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