Ein Beitrag von Jörg Ebeling
Die Erforschung der Baugeschichte, Innenausstattung und Sammlungsgeschichte des Palais Beauharnais steht im Zentrum dieses seit 2002 bestehenden Projektes am DFK Paris. Die Residenz des deutschen Botschafters, die noch heute den Namen seines berühmtesten Besitzers, des Prinzen Eugène de Beauharnais (1781–1824) trägt, ist nicht nur einer der wichtigsten Ort der deutsch-französischen Beziehungen in Frankreich, sondern auch das bedeutendste noch erhaltene Palais aus der Zeit Napoleons in Paris.
Seit seinem Ankauf durch den preußischen König Friedrich-Wilhelm III. im Jahr 1818 steht das Palais als Erinnerungsort der deutsch-französischen -Geschichte im Mittelpunkt des politischen Diskurses beider Länder. Zunächst preußische Legation und Botschaft, dann Botschaft des Deutschen Reiches bis einschließlich 1944, wurde das Palais im Zuge einer aufwendigen Restaurierungskampagne zwischen 1962 und 1967 als Botschaftsresidenz hergerichtet. Bereits Otto von Bismarck war dort als Botschafter tätig (1862); andere wichtige politische Ereignisse wie die Dreyfus-Affäre nahmen dort ihren Ausgang. Ein besonders dramatisches Ereignis im Palais war die Ermordung des Botschaftssekretärs Ernst Eduard vom Rath durch den polnischen Juden Herschel Grynszpan am 7. November 1938, die den Nationalsozialisten in Deutschland als Vorwand für das Pogrom vom 9./10. November 1938, der sogenannten „Kristallnacht“, diente. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude 1945 von Frankreich konfisziert. Während der Vorbereitungen der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages von 1963 wurde das Palais von Präsident Charles de Gaulle am 6. Juli 1961 der Bundesrepublik Deutschland als Zeichen der deutsch-französischen Aussöhnung zurückgegeben.
Ein herausragendes Monument des europäischen Klassizismus
Für das einzige kunsthistorische Forschungsinstitut innerhalb der Max Weber Stiftung steht vor allem die kultur- und kunsthistorische Bedeutung des Palais Beauharnais und seiner Sammlungen im Zentrum des Interesses. Es handelt sich um den einzigen noch mit der originalen Inneneinrichtung und Möblierung ausgestatteten Palast aus der Zeit und dem direkten Umfeld Napoleons in Paris, der 1951 vom französischen Denkmalschutz als nationales monument historique („historisches Denkmal“) eingestuft wurde. Frankreich hatte im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und der sich anschließenden Commune mit dem Schloss von Saint-Cloud und dem Tuilerienpalast zwei Haupterinnerungsorte der napoleonischen Zeit verloren. Darüber hinaus hat sich von den während des Baubooms nach der Französischen Revolution konzipierten Innenausstattungen in der französischen Hauptstadt aus sehr unterschiedlichen Gründen kaum etwas erhalten, was das in deutschem Besitz befindliche Palais Beauharnais so einzigartig und kostbar macht. Überaus bedeutend ist das Palais Beauharnais für den kulturellen Transfer zwischen Frankreich und Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene hält das Stadtpalais des Prinzen Eugène eine Schlüsselposition im Transfer des französischen Empirestiles inne, wie zahlreiche Analogien mit Dekorationen etwa in Italien beweisen.
Das Projekt
Im April 2021 wurde die Zusammenarbeit der deutschen Botschaft in Paris mit dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris durch die Unterzeichnung einer neuen Absichtserklärung in einer langfristigen Perspektive neu definiert. Ziel ist es, die kunsthistorische Erforschung des für die deutsch-französische Geschichte bedeutsamen „Hôtel de Beauharnais“ zu fördern und mit den gewonnenen Erkenntnissen dieses herausragende Denkmal dauerhaft zu erhalten. Das DFK Paris unternimmt eigenständig Forschungen zum Palais Beauharnais und anverwandten Themen, deren Ergebnisse auch der Botschaft zu Gute kommen, etwa indem neue Erkenntnisse konkret in Restaurierungsvorhaben der Botschaft einfließen oder die Provenienz einzelner Objekte in den Sammlungen aufgearbeitet wird. Das Forschungsprojekt ist ein exemplarisches Beispiel für die deutsch-französische Zusammenarbeit in Fragen der Forschung und Denkmalpflege, die sich auch in der Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Beirates widerspiegelt, dem unter anderem Konservatorinnen und Konservatoren aus französischen Nationalmuseen angehören. Zu den spannenden Aspekten des Projektes gehört auch die Möglichkeit zum direkten Austausch mit Denkmalpflegerinnen und Denkmalpflegern, Handwerkerinnen und Handwerkern, Restauratorinnen und Restauratoren oder mit Manufakturen. In der mehr als zwanzigjährigen Projektgeschichte hat sich ein internationales Netzwerk gebildet. Neben der universitären Forschung ist vor allem die Nähe zu Objektforscherinnen und -forschern und zum Museumsbereich hervorzuheben, den Orten, an denen traditionell die Erforschung von Möbeln und der Raumkunst angesiedelt ist.
Vermittlung
Die mit Hilfe der Forschungen des DFK Paris erfolgten Restaurierungen haben das Palais als eines der wichtigsten Zeugnisse des Empirestils mit der Wiederherstellung der lebendigen Farbigkeit von Stoffen und Wandverkleidungen neu definiert. Zahlreiche Publikationen, darunter die große wissenschaftliche Monographie von 2016, Vorträge, Tagungen und Führungen vermitteln die Forschungsergebnisse auch einer breiteren Öffentlichkeit. Anverwandte Themen, wie etwa die Kunst und Kultur im Königreich Westphalen, das Napoleons Bruder Jérôme Bonaparte als König regierte, oder im Königreich Italien, wo Eugène von 1804 bis 1814 als Vizekönig lebte, bilden weitere Vernetzungsmöglichkeiten. Weiterhin engagiert sich das DFK Paris durch die mit dem Verein mobile – die Freunde von Möbel- und Raumkunst e. V. und anderen Partnern ausgerichteten Tagungen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Bereich der Möbel- und Raumkunst. Dadurch soll der Dialog zwischen Museumsfachleuten, Restauratorinnen und Restauratoren und dem wissenschaftlichen Nachwuchs gefördert und die Vernetzung innerhalb der deutschsprachigen Möbel- und Raumkunstforschung über die Grenzen der einzelnen Universitäten und Fachhochschulen hinausermöglicht werden Aktuell ist die Teilnahme an der Ausstellung „Eugène de Beauharnais, un prince européen“, die im Herbst 2022 im Musée national des châteaux de Malmaison et de Bois-Préau nahe Paris zu sehen sein wird.
Wissenschaftlicher Service
Grundlage der wissenschaftlichen Arbeit zum Palais Beauharnais ist die „Dokumentation Palais Beauharnais“, die am DFK Paris vorgehalten wird. Neben einem Großteil der das Palais betreffenden Archive in Kopien umfasst die Dokumentation eine umfangreiche Handbibliothek zur Kunst und zum Kunsthandwerk des französischen ersten Kaiserreichs und zur Denkmalpflege sowie ein Bildarchiv. Zu finden sind auch Archive, etwa von Jean-Paul Ledeur, dem von 1962-1967 leitenden Innenarchitekten und Restaurator, von Beständen aus dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) oder des Kunstexperten André Clavière, das dem DFK Paris geschenkt wurde. Die Dokumentation steht allen Forscherinnen und Forschern für ihre Arbeiten offen. Über die Website des DFK Paris ist seit 2018 die Datenbank des wissenschaftlichen Kataloges der historischen Sammlungen einzusehen, die am DFK Paris geführt wird.
Zukunftsperspektiven
Der Ausbruch eines Feuers, der im Frühjahr 2022 die historischen Räume des an das Palais Beauharnais angrenzenden Hôtel de Seignelay zum großen Teil zerstört hat und auch auf die Botschafterresidenz überzugreifen drohte, hat allen Beteiligten gezeigt, dass der Schutz des Hauses samt seines historischen Inventars höchste Priorität hat. Parallel zu Pflege- und Erhaltungskonzepten steht zurzeit das Projekt einer virtuellen Begehung des Palais an, wobei auch − in enger Zusammenarbeit mit der Abteilung Digitale Kunstgeschichte am DFK Paris − die Möglichkeiten einer Visualisierung von Forschungsergebnissen mittels einer 3D-Rekonstruktion der historischen Salons diskutiert werden. Die einzigartige Möglichkeit, über einen solch langen Zeitraum einen Gegenstand zu erforschen, hat zu einer ebenso glücklichen Verdichtung von Informationen geführt. Aus diesen wurde ein neues Forschungsprojekt entwickelt, das die Einflüsse neuer Zeitvorstellungen auf die Herstellung und Ästhetik von kunstgewerblichen Objekten und Innenausstattungen im postrevolutionären Frankreich untersucht. Fragen der Technikgeschichte und der vorindustriellen Produktion stehen dabei ebenso im Fokus wie die napoleonische Kunst- und Kulturpolitik, die im Hinblick auf Beschleunigungsversuche und Industrialisierungstendenzen untersucht werden soll.
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