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Luftwege als Fluchtwege – Wie der globale Flugverkehr die Geschichte von Flucht und Asylmigration prägte

Dr. Carolin Liebisch-Gümüş

Die Geschichte der zivilen Luftfahrt ist eng mit der Geschichte von Migration und Flucht verknüpft. Historisch erforscht ist dieser Zusammenhang bisher kaum. Dabei waren Flughäfen im 20. Jahrhundert Orte der Migrationsgeschichte und Luftwege bedeuten oftmals auch Fluchtwege. Was machte die Migration mit dem Flugzeug besonders?

Regelmäßig erreichen uns Nachrichten über Migranten und Migrantinnen, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten oder in Transitlagern festsitzen. Dass Menschen auf der Flucht oft über gefährliche See- und Landwege reisen, um nach Westeuropa oder Nordamerika zu gelangen, mag daher Manchem als „Normalzustand“ erscheinen. Historisch gesehen ist es das aber nicht. Im 20. Jahrhundert (und bis heute) spielte die damals neue Reisemöglichkeit per Flugzeug eine wichtige Rolle in den Migrationsbewegungen aus, über und nach Europa.

Die Anfänge in der Zwischenkriegszeit

Flughäfen und Flugrouten wurden bereits in der Zwischenkriegszeit und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zu Schauplätzen von Flucht und Humanitarismus. In den 1930er Jahren wuchs der Passagierflugverkehr an. Zur gleichen Zeit erfolgte der Aufstieg des Nationalsozialismus, der massenhaft Menschen zu Emigration und Flucht aus dem Dritten Reich und Europa zwang. Nur für wenige von ihnen kamen teure Flugtickets infrage. Die meisten flohen zu Fuß und mit Zügen und Schiffen ins Exil.

Die wenigen, die sich eine Flugreise leisten konnten, verbanden damit die Hoffnung, möglichst schnell und direkt an einen sicheren Ort übersiedeln zu können. So konnten beispielsweise deutsche und österreichische Juden, die 1938/39 per Flugzeug von Prag nach Paris flohen, das Deutsche Reich überfliegen und heikle Landwege wie etwa über die polnische Grenze vermeiden. Für andere bedeutete eine Flugreise die Chance, ein Exilland wie Großbritannien pünktlich zu erreichen, ehe ihre Einreiseerlaubnis ablief. Weil es schnell und vom Boden losgelöst war, bot das Fliegen eine besondere Chance für Flüchtende.


Gleichzeitig war das Fliegen doch auch am Boden verhaftet. Direktflüge über längere Strecken waren selten, auch weil Flugzeuge häufiger nachtanken mussten. Für die Zwischenstopps erhielten insbesondere jüdische Personen nicht immer die erforderlichen Transitvisa. Zwischenstopps auf deutschen Flughäfen führten gar zu gefahrvollen Konfrontationen mit NS-Polizeibeamten. Eröffnete der Flugverkehr Flüchtenden einerseits neue Wege und Möglichkeiten, wurden diese andererseits durch territoriale Grenz- und Kontrollpraktiken wieder eingeschränkt.

Das Massenflugzeitalter als Wendepunkt

Das Fliegen war lange Zeit ein exklusives Reisemittel, von dem nur wenige Flüchtende profitierten. Dies änderte sich langsam, als in den 1970er Jahren das Massenflugzeitalter anbrach. Technologische Fortschritte, die Liberalisierung des Verkehrsmarktes und der Ausbau des Flugnetzes schufen eine neue Erreichbarkeit in Zeiten der Globalisierung. Eine wachsende Zahl von Asylsuchenden aus Afrika, Asien und dem Mittleren Osten konnte sich nun die schnelle und relativ sichere Flugreise nach Europa und Nordamerika leisten. Die Regierungen des Globalen Nordens entwickelten in der Folge ein engmaschigeres Kontrollregime, das darauf abzielte, das sich weltweit verdichtende Netzwerk aus Flugverbindungen von unerwünschter Asylmigration freizuhalten.

Diese Entwicklung lässt sich besonders gut anhand des Rhein-Main-Flughafens Frankfurt nachvollziehen, denn er bildete eines der weltweit größten Verkehrsdrehkreuze und galt als Deutschlands „Tor zur Welt“. Als dort in den 1980er Jahren die Asylzahlen rasant anstiegen, reagierte die deutsche Regierung mit Visaverschärfungen und empfindlichen Strafen für Fluggesellschaften, die Fluggäste ohne Visa transportierten. Damit versuchte sie den Zugang per Luftweg für Asylbewerber und -bewerberinnen zu versperren. Zunehmend striktere Regelungen ermöglichten direkte Zurückweisungen und Abschiebungen vom Flughafen. Der Flughafen wurde vom Einreisetor zum Mobilitätsfilter.


Asylsuchende fanden jedoch neue, visafreie Routen und Schlupflöcher. Insbesondere Istanbul wurde zum Drehkreuz für Migranten und Migrantinnen aus dem Mittleren Osten und Asien, die von dort nach Europa flogen. Auch für den Erwerb falscher Papiere und das Anheuern von Fluchthelfern beziehungsweise Schmugglern war Istanbul ein wichtiger Umschlagplatz. Die jeweils geltenden Restriktionen wurden von Migranten und Migrantinnen auf verschiedenen Wegen unterlaufen und nicht zuletzt aufgrund dieser eigensinnigen Strategien von Regierungen ständig nachjustiert. Dies zeigt sehr deutlich die Grenzen von Migrationskontrolle auf dem Luftweg.

Der Flughafen Frankfurt als Dreh- und Angelpunkt

Der Frankfurter Flughafen bildet den Ausgangspunkt des Forschungsprojekts, von dem aus historische Migrationsbewegungen in verschiedene Richtungen verfolgt werden. Das führt etwa auf die Spuren von jüdischen Flüchtlingen nach Prag, von Asylsuchenden nach Istanbul und zu weiteren Orten, die über Flugrouten und Migrationswege miteinander verbunden waren.

Das Forschungsprojekt entspricht einem wachsenden Interesse der historischen Migrationsforschung an Transitphasen. Migration verläuft nur selten geradlinig von einem Land ins andere. Besonders Migrantinnen und Migranten, die im 20. Jahrhundert mit dem Flugzeug unterwegs waren, mussten Umwege und Zwischenstopps in Kauf nehmen. Dennoch ermöglichte es der Flugverkehr, schneller, direkter und unter Vermeidung gefährlicher Landwege in sichere Länder zu gelangen. Dass eine solche Erreichbarkeit nur bedingt politisch gewünscht war, ist Teil dieser Geschichte. Die Zunahme und Beschleunigung globaler Mobilität seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging mit bewussten Grenzziehungen, Entschleunigungen und Ausschlüssen einher.

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