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Polnische Historiker hinterfragen die Entwicklung der europäischen Integration

Dr. Olga Gontarska

Professionelle Historikerinnen und Historiker sind in Polen keine Akademiker im Elfenbeinturm, sondern häufig einflussreiche Akteure im politischen Geschehen. Diejenigen, die der Entwicklung der europäischen Integration skeptisch gegenüberstehen, beeinflussen die Debatte über die europäische Integration. Kontinuität oder Wandel ihrer Ansichten und die Entstehung transnationaler Netzwerke sind hier Schlüsselfragen. Die Herausforderung besteht jedoch darin, den Prozess der EU-Osterweiterung zu historisieren.

Zweifel älter als die Mitgliedschaft

Die europaskeptischen Positionen der Vertreterinnen und Vertreter der intellektuellen Elite Polens traten in der Öffentlichkeit auf, lange bevor die Frage der Integration und des Beitritts in die EU-Strukturen eine beschlossene Sache war. Solche Veröffentlichungen, die sich an ein kleines Publikum richten, werden jedoch oft übersehen. Gleichzeitig sind die dort vorgebrachten Argumente den derzeit verwendeten Formulierungen bemerkenswert ähnlich. Das Erstarken euroskeptischer Ansichten ist jedoch das Ergebnis eines transnationalen intellektuellen Austauschs, der sich gegenseitig befördernde und behindernde Europavorstellungen erklärt. Eine Frage ist, ob die Dynamik der Debatte von innenpolitischen Faktoren oder von Fragen der Funktionsweise der Europäischen Union beeinflusst wurde. Lässt sich von Kontinuität oder eher von einem Wandel euroskeptischer Ansichten sprechen?

Lokale Bedingungen

Die Erfahrung der Fremdherrschaft, die eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung der Idee des Widerstands gegen jeden Versuch der Einmischung in innere Angelegenheiten gespielt hat, könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Daher ist es wichtig, das Phänomen des Euroskeptizismus zu historisieren und die in der Diskussion instrumentalisierten Ideen zu identifizieren. Haben historische Wendepunkte seit 1989 – z. B. der EU-Beitritt (2004), die Erweiterung des Schengen-Raums (2007) und die Parlamentswahlen im Jahr 2015 – eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Einstellungen polnischer Historikerinnen und Historiker zur europäischen Integration gespielt? Könnten Transformationserfahrungen lokale euroskeptische Bewegungen befeuert haben? Wie beeinflusste der Integrationsprozess in die EU den Einstellungswandel?

Vom Elfenbeinturm in die Politik

Professionelle Historikerinnen und Historiker sind in Polen keine Akademiker im Elfenbeinturm, sondern häufig einflussreiche Akteure im politischen Geschehen. Besonders interessant ist der Blick auf das Umfeld der konservativen polnischen Historiker (im Rahmen der Forschungsarbeit konnten ausschließlich männliche Historiker identifiziert werden), die der Entwicklung der europäischen Integration skeptisch gegenüberstehen. Die in der Debatte aktiven Historiker identifizieren ihre Aussagen in Bezug auf Medien, finanzielle Unterstützung und politische Zugehörigkeiten. Eine Kontextualisierung ist daher ein zentrales Problem. Es erscheint sinnvoll, die in der Debatte instrumentalisierten Ideen mit verschiedenen historischen Wurzeln zu identifizieren, zu analysieren, und zu untersuchen.

Europäisierung des Euroskeptizismus?

Die Vermeidung der Konfrontation mit europaskeptischen Akteuren im Falle des Hauses der Europäischen Geschichte in Brüssel führte zu einer Aktivierung dieser Kreise. Die Herausforderung einer gemeinsamen europäischen Geschichte war ein Impuls für die Herausbildung euroskeptischer Positionen der meinungsbildenden Elite, einschließlich der professionellen Historiker. Sie hat ein transnationales Netzwerk der Zusammenarbeit und des intellektuellen Austauschs unter professionellen Historikerinnen und Historikern entstehen lassen. In dieser Zusammenarbeit von Kritikerinnen und Kritikern der Entwicklung der europäischen Integration findet sich somit eine Form der Europäisierung wieder. Skepsis hat die europäische Einigung also einerseits von Beginn an begrenzt, andererseits hat sie eigene Formen des Zusammenhalts in Europa gestiftet.

Die Historisierung der jüngsten Vergangenheit

Gegenwärtig dominieren vor allem auf die jüngere Vergangenheit ausgerichtete politikwissenschaftliche Analysen das Forschungsfeld. Es lohnt es sich jedoch den Prozess der EU-Osterweiterung zu historisieren, historische und politikwissenschaftliche Ansätze zu nutzen und zu einer interdisziplinären und transnationalen Perspektive zu verbinden. Der Fall der polnischen Debatte und die Beteiligung polnischer Historiker können dazu beitragen, die Probleme des Euroskeptizismus und der Europäisierung aus der Perspektive der Länder Mittel- und Osteuropas besser zu beschreiben.

Das Projekt „(De)Constructing Europe - EU-Skeptizismus in der europäischen Integrationsgeschichte“ wird als Verbundprojekt gemeinsam vom DHI London, DHI Rom und DHI Warschau sowie dem Hamburger Institut für Sozialforschung durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.


Bildnachweis Header: Ein durch Vandalismus beschädigtes EU-Schild in Sopot, Polen, 2003, © Tomasz G. Sienicki (tasca) bei Wikimedia Commons