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Zusammenbruch und Neuordnung. Zur Transformation der politischen Eliten Italiens (1990-2018)

PD Dr. Francesco Di Palma

Anfang der 1990er Jahre erfuhr die italienische Parteienlandschaft einen einschneidenden Transformationsprozess. Traditionsreiche Parteien verschwanden gleichsam über Nacht, Modernisierungsdynamiken in Politik und Gesellschaft setzten ein. Welche Auswirkungen hatte diese Entwicklung für die politischen Eliten des Landes und wie bereiteten sich die Parteien auf die großen Herausforderungen unserer Zeit vor? Diesen Fragen geht Francesco Di Palma am DHI Rom nach.

Die einst mit Abstand größte kommunistische Partei der westlichen Welt, die Partito Comunista Italiano (PCI), hatte noch Ende der 1980er Jahre rund 26% der Stimmen auf sich vereinen können (1987: 26,57 %). Bettino Craxi, Generalsekretär der sozialistischen Partei Italiens (PSI) und von 1983 bis 1987 Ministerpräsident des Landes, flüchtete 1994 ins tunesische Exil, um einer 28-jährigen-Haftstrafe zu entgehen. Er war im Rahmen der umfangreichen gerichtlichen Untersuchungen, die als „mani pulite“ in die Geschichte eingegangen sind, gegen mehrere italienische Parteien Anfang der 1990er Jahre wegen Korruption verurteilt worden. Seine Partei löste sich 1994 auf, die PCI bereits 1991. Das langjährige Bestehen der christdemokratischen Regierungspartei, der Democrazia Cristiana (DC), endete im Jahr 1993. Was ist letztlich aus diesen politischen Kulturen geworden und wie reagierten die politischen Eliten Italiens auf einen Umbruch solchen Ausmaßes?

Die Studie, die am Deutschen Historischen Institut in Rom entsteht, soll erklären, ob, inwieweit und warum es zu einer „Transformation“ der politischen Eliten in der jüngsten Geschichte Italiens gekommen ist. Hierzu wird eine prosopographische Analyse durchgeführt, also eine systematische Erforschung eines bestimmten Personenkreises. Dabei sollen die soziokulturelle Herkunft und der professionelle Werdegang ausgewählter Eliten erfasst und kritisch erklärt werden. Zu den Untersuchungsgegenständen gehören im Wesentlichen Abgeordnete und Senatorinnen und Senatoren von der X. bis zur XVII. Legislaturperiode (1987 bis 2018).

Annäherung und Angleichung der parlamentarischen Eliten?

Dass eine Transformation westlicher Gesellschaften stattfindet, dürfte unumstritten sein. Modernisierungsprozesse wie Digitalisierung und Säkularisierung haben ungeahnte Konsequenzen nach sich gezogen, etwa einen auffälligen Mitglieder- und Wählerverlust der (Volks-)Parteien und eine allgemeine „Politikverdrossenheit“ der Bevölkerung. Dafür sind in der einschlägigen Literatur bereits einige Begründungen herausgestellt worden – von der Erosion gesellschaftlicher Großmilieus über die Überalterung westlicher Gesellschaften bis hin zur Zersplitterung der Öffentlichkeit in der Ära von Social Media. Auch ist von politikwissenschaftlicher Seite oft die „Konvergenz-Theorie“ mit Bezug auf Italien vorgebracht worden. Diese besagt, dass die zersplitterte Parteienlandschaft des Landes sehr viel stärker auf Zusammenarbeit und Kompromissbereitschaft angewiesen sei, als es früher der Fall gewesen war. Die unmittelbare Konsequenz sei eine Verwässerung und Homogenisierung des politisch-ideologischen Angebots zugunsten opportunistischer Allianzbildungen zum Zweck des (finanziellen) Selbsterhalts und des Wahlerfolgs.

Dies scheint plausibel und ist gemeinhin bereits gut erforscht. Aber ist diese These auch sozialgeschichtlich begründbar? D. h., findet sie auch in der Zusammensetzung der parlamentarischen Eliten ihren Niederschlag? Die vorläufige Auswertung von Archivbeständen der beiden Parlamentskammern, Camera dei Deputati und Senato della Repubblica, zu Abgeordneten und Senatorinnen und Senatoren scheint die These zu stützen. So haben sich im Laufe der letzten dreißig Jahre klare sozioprofessionelle Trennlinien zwischen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien beinahe aufgelöst.

Vorläufige Ergebnisse

Während in der X. Legislaturperiode (1987-1992) beispielsweise noch rund 45 % der Abgeordneten der Rechtsaußenpartei MSI (Movimento Sociale Italiano) Anwältinnen und Anwälte waren, wies die PCI  im selben Zeitraum einen Anwaltsanteil von lediglich knapp 3,5 % auf. Dieser hat sich im Mitte-Rechts-Milieu in den letzten zehn Jahren bei etwa 15 bis 20 % eingependelt und ist damit jenem der anderen Parteien recht ähnlich. Indes sind die einst im italienischen Parlament relativ stark vertretenen Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter beinahe vollständig verschwunden. Gleichzeitig lassen der gestiegene Anteil von Industriellen sowie Managerinnen und Managern, Exponentinnen und Exponenten der selbstständigen und freien Berufe unter den Neugewählten und der gleichzeitige Erhalt und Ausbau ihres Wettbewerbsvorteils unter Abgeordneten und Senatorinnen und Senatoren den Schluss zu, dass dies das Ergebnis eines spezifischen Rekrutierungsmodells ist.

Der Frauenanteil ist ebenso stetig gestiegen, in etwa übereinstimmend mit der gesamtwesteuropäischen Entwicklung. Auch ist eine beachtliche Verjüngung und Akademisierung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier festzustellen. All diese vorläufigen Ergebnisse werfen neue Fragen auf, die im Rahmen der noch ausstehenden Recherchearbeit beantwortet werden müssen. Hat beispielsweise die scheinbare Homogenisierung der parlamentarisch-politischen Eliten in Italien zu Problemen der Parteibindung geführt? Und welche Rolle spielt die angebliche Konvergenz für die Funktionsmechanismen der beiden Parlamentskammern? Das Vorhaben leistet daher einen Beitrag zum besseren Verständnis des italienischen Parlaments, seiner Funktionsweisen bzw. -defizite und zeichnet dabei die soziokulturelle Entwicklung seines politischen Personals nach.


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