MWS 2030 – Die Strategie der Max Weber Stiftung

Impulse und Entwicklungsräume für die deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften

 

Profil und Positionierung

Profil und Positionierung

Die MWS ist die einzige im Inland verankerte, aber durchgängig im Ausland forschende deutsche Wissenschaftseinrichtung. Die in ihr zusammengefassten Auslandsinstitute betreiben und fördern Spitzenforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften (GSW) mit geschichts- und regionalwissenschaftlichen Schwerpunkten und unter Einbindung „Kleiner Fächer“. Im Rahmen ihres jeweiligen Satzungsauftrags definieren die Institute ihr Forschungsprogramm eigenständig. Forschungsvorhaben sind dabei oft multidisziplinär und international vergleichend sowie zunehmend auch transnational, transregional und global gerahmt. Die Rückkopplung mit dem deutschen Wissenschaftssystem wird durch die (befristete) Besetzung der Direktorate, der wissenschaftlichen Stellen und Beiräte, durch Programme zur Förderung wissenschaftlicher Karrieren in Deutschland sowie durch wissenschaftliche Aktivitäten, die Institute gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern in Deutschland durchführen, gewährleistet.

Als einzigartige Multiplikatoren deutscher GSW im Ausland wirken die MWS-Institute in der Forschung, Nachwuchsförderung und Vermittlung. In Zukunft werden sie ihre Beziehungen zu den GSW an den deutschen Universitäten verstärkt ausbauen und die Kontakte aus ihren Gastländern nach Deutschland zurücktragen. Dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland werden sie ausgezeichnete Arbeitsbedingungen und Förderformate sowie daran anknüpfende Karrieremöglichkeiten im internationalen Forschungsraum bieten. In diesem Sinne befördern sie die weitere Internationalisierung auf zwei miteinander verbundenen Ebenen: Zum einen fungieren sie in ihren Gastregionen – auch unter sich stetig wandelnden Rahmenbedingungen – als wichtige Brückenbauer und Repräsentanzen für die deutsche Wissenschaft und zum anderen vermitteln sie in beide Richtungen Methoden und Konzepte. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland erhalten so einen bestmöglichen Zugang zu Forschungsressourcen vor Ort sowie Kooperationsmöglichkeiten in den Gastländern, entsprechend dem Prinzip „forschen mit“ statt „forschen über“. Von gegenseitigem Respekt und Vertrauen getragene, langfristige Beziehungen sind insbesondere dort von unschätzbarem Wert, wo politische Spannungen die wissenschaftliche Freiheit bedrohen oder eine belastete Vorgeschichte den Dialog erschwert.

Die MWS ist jünger als fast alle der in ihr zusammengefassten Institute. Sie ist dem Prinzip einer „Zusammenarbeit in und durch Vielfalt“ verpflichtet. In einem intensiven Dialog über die konkrete Umsetzung dieses Grundsatzes haben Gremien der Stiftung die vorliegende Strategie 2030 erarbeitet und damit die Zielsetzungen der letzten Dekade („MWS 2020“) deutlich weiterentwickelt.

Strategische Zielsetzung, Handlungsfelder und Formate

Strategische Zielsetzung, Handlungsfelder und Formate

Geopolitische, sozioökonomische und technologische Umbrüche stellen Gesellschaften weltweit vor tiefgreifende Herausforderungen. Globale Krisen wie die 2019/20 ausgebrochene Corona-Epidemie haben das Potential, nationalistische Tendenzen zu verstärken. In diesem Kontext sind die GSW wichtiger denn je. Die MWS stellt sich der daraus erwachsenden wissenschafts- wie gesellschaftspolitischen Verantwortung.

Als Seismographen für neue Entwicklungen führen die Institute der MWS regionalspezifische Erkenntnisse und Perspektiven aus unterschiedlichen Weltregionen noch stärker als bisher zusammen. Unterstützt durch eine effektive Wissenschaftskommunikation bereichern ihre Forschungsergebnisse gesellschaftliche Debatten über das Eigene und Andere, indem sie wissenschaftlich fundiertes Orientierungswissen bereitstellen und zur Differenzierung und Reflexion komplexer Sachverhalte beitragen.

Im stiftungsweiten Kontext widmen sich die Institute zahlreichen Forschungsfragen von hoher Relevanz und nähern sich ihnen in historischer und aktueller Perspektive. Dazu gehören kulturelles Erbe und Erinnerung, Migration und Mobilität, Ungleichheit und soziale Kohäsion, Gewalt und Krieg, Infrastrukturen und Umwelt, Resilienz und Innovation, Religion und Radikalisierung, Information und Wissen, technologische und gesellschaftliche Umbrüche sowie mediale und digitale Transformationen.

Die institutionelle Bundesförderung der MWS und ihrer Institute ermöglicht den Betrieb und Aufbau von nachhaltigen und grenzüberschreitenden Forschungsinfrastrukturen. Darüber hinaus gehende innovative, risikobehaftete Forschungsgebiete werden auch über drittmittelfinanzierte Projekte erschlossen.

Übergeordnetes Ziel der strategischen Weiterentwicklung ist es, Spitzenleistungen in der Forschung und Karriereförderung zu erbringen und weiter auszubauen. Dabei sollen die Stärken der Diversität, die aus der Eigenständigkeit der Institute und ihren unterschiedlichen Handlungskontexten resultiert, gezielt gefördert und gleichzeitig die Synergien und Innovationspotenziale, die durch eine engere Vernetzung der Institute untereinander erzielt werden können, systematisch genutzt werden. Die MWS sichert die hohe Qualität ihrer Arbeit durch die wissenschaftlichen Beiräte der Institute und in regelmäßigem Turnus zusätzlich auch durch externe Evaluierungen. In der Verfolgung dieser Zielsetzung konzentriert sich die MWS in den nächsten zehn Jahren auf die fünf strategischen Handlungsfelder Internationalisierung, digitale Transformation, Karriereförderung, Wissenschaftskommunikation und interne Vernetzung.

Internationalisierung: Regionen und Akteure vernetzen, Forschungsfelder erweitern, Grenzen überschreiten

Internationalisierung: Regionen und Akteure vernetzen, Forschungsfelder erweitern, Grenzen überschreiten

Ausgehend von bisherigen Standorten und aktuellen Debatten in den Fachdisziplinen beziehen die MWS-Institute neue Weltregionen in ihre Konzepte ein und fragen verstärkt nach internationalen Vergleichen, transregionalen Verflechtungen und globalen Rahmungen. Hierfür pflegen sie etablierte Netzwerke und die Zusammenarbeit mit Partnern in dynamischen, von den deutschen GSW aber noch weniger erschlossenen Wissenschaftsregionen. Sie stärken die Vernetzung innerhalb der MWS sowie mit Forschungseinrichtungen in Deutschland. Bewährte wie neu entwickelte Forschungskooperationen dienen den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachgemeinschaften, für die die Auslandsinstitute wichtige Forschungsinfrastrukturen bereitstellen, und erhöhen ihre Attraktivität auch für solche Partner in Deutschland, die bislang noch nicht mit der MWS zusammengearbeitet haben.

Neue Kooperationen sollen flexibel erprobt werden, wobei je nach Umfang, Zielsetzung und Priorisierung unterschiedliche Zeithorizonte und Organisationsformen zugrunde gelegt werden. Insbesondere an politisch sensiblen Standorten ist dabei ein transparenter und bewusster Umgang mit kulturellen Unterschieden und mit unterschiedlichen Auffassungen erforderlich. Ein weltweites Eintreten für Wissenschaftsfreiheit gehört ebenso zu den Grundprinzipien der MWS wie die Einsicht in die Notwendigkeit international anschlussfähiger Forschung. Konkret unterscheidet die Internationalisierungsstrategie der MWS zwei Basisformate:

Auf Dauer angelegte neue Forschungsinfrastrukturen an einem ausgewählten Standort. In den kommenden fünf Jahren prioritär sind die Standorte Neu-Delhi und Peking sowie die – derzeit im Evaluierungsprozess befindliche – Außenstelle des Deutschen Historischen Instituts Washington in Berkeley.

Befristete und mobile Projekte, ggf. auch mit einer Option zum Aufbau einer längerfristig angelegten Forschungs­infrastruktur an einem neuen Standort. Dem dient unter anderem die Einrichtung einer neuen Transnationalen Forschungsgruppe (TFG) im Jahr 2022.

Davon ausgehend priorisiert die MWS ihre Standortpolitik nach den folgenden Kriterien:

Langfristiges forschungsstrategisches Potenzial der Region für die deutschen Universitäten und GSW;

klarer Bezug zum Profil der MWS und ihren strategischen Zielen;

zukunftsfähige Balance zwischen projektförmigen und strukturbildenden Formaten;

sinnvolle Ergänzung existierender Förderformate und Standorte jenseits der MWS;

Ressourcen und Realisierbarkeit.

Digitale Transformation: Infrastrukturen und neue Methoden entwickeln

Digitale Transformation: Infrastrukturen und neue Methoden entwickeln

In der nahen Zukunft bestimmen neben der zunehmend globalen Ausrichtung von Spitzenforschung vor allem die Digitalisierung und der strategische Ausbau von Forschungsinfrastrukturen die wissenschaftliche Entwicklung. Ihre Präsenz an exzellenten Wissenschaftsstandorten im Ausland macht die Stiftung zu einem Akteur, der, aufbauend auf langjähriger Erfahrung, mit den Anforderungen, die der Trend zur Digitalisierung der Geisteswissenschaften (Digital Humanities, DH) stellt, internationale Entwicklungen frühzeitig erkennt, bewertet und aufgreift. Damit bereichert sie relevante Initiativen an deutschen Universitäten und trägt umgekehrt wegweisende Erkenntnisse und Vorhaben aus Deutschland in ausländische Wissenschaftssysteme. In den nächsten Jahren wird die MWS insbesondere durch ihre Beteiligung an einschlägigen Konsortien der nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) sowie in Zusammenarbeit mit (außer-)europäischen DH-Initiativen neue Impulse aufnehmen und setzen.

Im Hinblick auf die Grundlagenforschung in den DH sowie die Digitalisierung von Forschung und Forschungsinfrastrukturen soll die Methodenkompetenz der MWS in Kooperationen mit international führenden Zentren, durch stiftungsweite Projekte und durch Fortbildungsprogramme für den wissenschaftlichen Nachwuchs gestärkt werden. Beispiele sind Projekte zu den Sozialdaten in der Zeitgeschichte (Deutsches Historisches Institut London), die themenorientierte Erschließung umfangreicher, auch außereuropäischer Textquellen mit Hilfe von Algorithmen (Deutsches Institut für Japanstudien Tokyo) und Deep Learning Methoden unter Einbeziehung von Bürgerwissenschaften (Deutsches Historisches Institut Washington) oder eine Community Building Competence Initiative (Orient Institut Beirut).

Leuchtturmprojekte innerhalb der MWS, die der digitalen Erschließung, Edition und Nutzung wichtiger Quellenbestände dienen, sollen nachhaltig gesichert werden, indem sie neuen Standards digitalen Arbeitens angepasst werden. Beispiele sind die Erschließung und Digitalisierung ausgewählter deutscher Akten in russischen Archiven (Deutsches Historisches Institut Moskau), das Projekt German History in Documents and Images (Deutsches Historisches Institut Washington), das Repertorium Germanicum (Deutsches Historisches Institut Rom), die Gallia Pontificia (Deutsches Historisches Institut Paris), das Langzeitprojekt Corpus Musicae Ottomanicae (Orient Institut Istanbul) oder das Projekt Architrave – Kunst und Architektur in Paris und Versailles im Spiegel deutscher Reiseberichte des Barock (Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris).

Gewinnung der besten Köpfe – Karriereperspektiven fördern

Gewinnung der besten Köpfe – Karriereperspektiven fördern

In enger Rückkopplung mit dem deutschen Wissenschaftssystem und den dortigen Universitäten bieten die Institute der MWS international ausgerichteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einzigartige Forschungs- und Arbeitsbedingungen. Besonders bei der Besetzung der Leitungspositionen werden die Erfordernisse des modernen Wissenschaftssystems berücksichtigt, um die Wettbewerbsfähigkeit der MWS als attraktive Arbeitgeberin zu sichern. Die Qualifizierungsperspektiven für das wissenschaftliche wie auch wissenschaftsnahe Personal sollen nachhaltiger gestaltet werden. Zu diesem Zweck hat die MWS-Arbeitsgruppe ‚Karrierewege‘ neue Förderformate und Karrieremodelle priorisiert:

Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen rechtlicher Möglichkeiten und in Anpassung an die Gegebenheiten im Gastland und im deutschen Forschungsraum.

Aktive Unterstützung wissenschaftlicher und wissenschaftsnaher Karrieren im Anschluss an eine erfolgreiche Postdoktoranden- bzw. Habilitationszeit an den Instituten durch die Gremien der MWS, die wissenschaftlichen Beiräte und kooperierende deutsche Forschungs­institutionen.

Einbindung des Nachwuchses in Vernetzungsaktivitäten, Konferenzen und Forschungsprojekte und damit Unterstützung beim Aufbau eines internationalen Netzwerks, das über Kontakte im Gastland hinausgreift.

Neue Wege der Wissenschaftskommunikation

Neue Wege der Wissenschaftskommunikation

Der Transfer von Forschungsleistungen und der Dialog mit Öffentlichkeit und Gesellschaft sind zentrale Anliegen der MWS. Die Stiftung sieht sich in der Verantwortung, ihre Forschungsergebnisse und regionalen Expertisen noch stärker als bisher in aktuelle Diskurse in Deutschland und in den Gastländern einzubringen. Zu diesem Zweck entwickelt sie ein neues Konzept für ihre Wissenschaftskommunikation, in dem der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit der Institute in Deutschland im Rahmen stiftungsweiter Projekte ebenso besondere Bedeutung zukommt, wie auch der einschlägigen Schulung und Weiterbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Interne Vernetzung: Synergien ausschöpfen

Interne Vernetzung: Synergien ausschöpfen

Die Multiperspektivität in der MWS und die in ihr vereinten Regionalkompetenzen bergen erhebliches innovatives Potenzial für die Erörterung grundlegender methodischer sowie aktueller wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Fragen. Dieses Potenzial soll durch verstärkte Kooperation zwischen den Instituten gezielt genutzt werden. Dem dienen unter anderem die Jahrestagungen der Stiftung und Gemeinschaftsprojekte wie das vom BMBF geförderte Projekt „Wissen entgrenzen“ (2019-2022). Unter Wahrung der Eigenständigkeit der Institute konzentriert sich die wissenschaftliche Zusammenarbeit insbesondere auf Forschungsthemen, die mit vergleichenden, transregionalen und globalen Ansätzen – auch in interdisziplinärer Konstellation – von mehreren Instituten bearbeitet und ggf. zum Nukleus internationaler Forschungsverbünde werden können. Von einer „Vernetzung der Netzwerke“ werden die Auslandsinstitute und dort tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso profitieren wie die GSW an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die Stiftung wird die geknüpften wissenschaftlichen Netzwerke u.a. mit dem Format der Transnationalen Forschungsgruppen (TFG) weiter ausbauen und nachhaltig pflegen. Die MWS wird ihre institutsübergreifenden Forschungs- und Förderinstrumente in einem Struktur- und Vernetzungsfonds zusammenfassen und bis 2030 weiterentwickeln. Diese Maßnahmen machen ca. 1,5 % der Gesamtzuwendung der Stiftung aus und sollen nach Vorliegen der haushalterischen Voraussetzungen ab 2021 auf 2,5 % aufgestockt werden. Die verfügbaren Mittel sollen in einer ersten Phase bis 2025 zum Ausbau der neuen Standorte und dann für neue strategische Formate genutzt werden. Für die Zeit ab 2026 entwickelt die MWS bis 2023 ein Konzept für die anschließende Ausgestaltung.

Die Vorteile der Zusammenarbeit unter den Instituten sollen auch auf den Handlungsfeldern der Qualifizierung und Kommunikation durch gemeinsame Initiativen im Bereich der digitalen Transformation, bei stiftungsweiten Weiterbildungsangeboten für den wissenschaftlichen Nachwuchs und der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland zielgerichtet ausgeschöpft werden. Anvisiert wird eine systematische Intensivierung der stiftungsinternen Kommunikation sowie ein wechselseitiger Austausch von Personal und best-practice Modellen in Verwaltung und Wissenschaftsmanagement zwischen den MWS-Standorten einerseits und Ministerien, Stiftungen, Fachverbänden etc. andererseits (Practitioners Programme). Die MWS strebt an, mit der „Strategie 2030“ ihre Position als einer der maßgeblichen Akteure der Internationalisierung der deutschen GSW zu stärken und weiter auszubauen.