Leitlinien der Max Weber Stiftung zur Wissenschaftsfreiheit
Die Max Weber Stiftung (MWS) zählt zu den maßgeblichen Trägern deutscher geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung im Ausland. Sie unterhält weltweit elf wissenschaftlich autonome Institute, die eine Brückenfunktion zwischen den Gastländern und Deutschland einnehmen und eine wichtige Rolle in der internationalen Wissenschaftslandschaft spielen. Als multipolares, sich über viele Länder erstreckendes Netzwerk treiben die Institute die Ländergrenzen überschreitende Internationalisierung der Wissenschaft gemeinsam voran.
Wissenschaftsfreiheit im internationalen Zusammenhang
Forschung und Wissenschaft sowie deren Finanzierung durch öffentliche und private Mittel haben in den letzten beiden Jahrzehnten eine außerordentlich dynamische Entwicklung genommen. Sie gehen einher mit dem schon vor Jahren ausgerufenen „Wettlauf ums Wissen“, der veraltete Vorstellungen von einer nur von wenigen Staaten geprägten globalen Wissensgesellschaft abgelöst hat.
Die Freiheit zu forschen genießt in Deutschland, in der Europäischen Union und darüber hinaus einen besonderen, durch das Grundgesetz und die EU-Charta der Grundrechte garantierten Schutz. Auch alle anderen am globalen wissenschaftlichen Wettbewerb teilnehmenden Länder bekennen sich in der Regel dazu, die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit zu schützen. Gleichwohl gelten für den universellen Wert der Forschungsfreiheit z.T. höchst unterschiedliche Rahmenbedingungen, auf die auch der von Forschenden der Universität Erlangen-Nürnberg, der Universität Göteborg und des Global Public Policy Institute (GPPi) gemeinsam mit dem Scholars at Risk Network entwickelte Academic Freedom Index verweist. Dies gilt auch für viele Standorte der international operierenden Max Weber Stiftung, was ihre grenzüberschreitende Forschung besonders auszeichnet. Aufgrund ihrer Verankerung in vielen Ländern hat für sie der unterschiedliche Umgang mit der politischen Ausgestaltung der Forschungsfreiheit einen besonders hohen Stellenwert. Die MWS definiert daher die Schaffung von Freiräumen für die Begegnung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Herkunft als einen der Aufträge ihrer Institute. Dabei ist die vergleichende Ausrichtung des Namenspatrons der Stiftung Anregung und Ansporn: Max Webers Werk verdeutlicht, dass Analysen und Theorien jeder Reichweite nur unter Einbeziehung und in intensiver Auseinandersetzung mit den Forschungen und wissenschaftlichen Debatten aus allen Weltteilen, einschließlich der Länder, die nicht zur westlichen Welt gezählt werden, entwickelt werden können.
Verankerung in Deutschland und weltweit
Die durch Beschluss des Deutschen Bundestags errichtete und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte MWS ist in Deutschland verwurzelt. Sie ist über ihre Institute in zahlreichen weiteren Ländern vertreten, wobei sich die Wahl der Standorte der Bedeutung des Landes bzw. der Region für die Bundesrepublik Deutschland im Allgemeinen und für die deutsche Wissenschaftsgemeinschaft im Besonderen ergibt. Diese dauerhafte und verlässliche Verortung im Ausland ist für die MWS die Voraussetzung, um ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen und das gegenseitige Verständnis zwischen Deutschland und den jeweiligen Staaten verlässlich und dauerhaft fördern zu können.
Als Akteur der deutschen Forschungslandschaft teilt die MWS die einschlägigen Leitlinien und Standards der großen Wissenschaftsorganisationen, wie sie von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen am 27. August 2019 betont und vor allem in der Bonner Erklärung zur Annahme bei der Ministerkonferenz zum Europäischen Forschungsraum vom 20. Oktober 2020 bekräftigt wurde. Die MWS setzt sich in diesem Sinn uneingeschränkt für die weltweite Förderung und Stärkung der Forschungsfreiheit ein.
In ihren Gastländern sind die MWS-Institute „Fenster“ für die deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Institute unterstützen, beraten und informieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland im Umgang mit ortsspezifischen Bedingungen – auch hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit. Für einheimische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch für Studierende und allgemein Interessierte bieten sie ein verlässliches Arbeitsumfeld und ermöglichen einen einzigartigen Zugang zur deutschen Forschungslandschaft. Für die deutsche Öffentlichkeit sind die MWS-Institute aber auch Seismographen für neue Entwicklungen und Forschungstendenzen im jeweiligen Gastland. Das ist vor allem dort von entscheidender Bedeutung, wo das wissenschaftliche Arbeiten anderen gesellschaftlichen, historischen und vor allem gesetzlichen Rahmenbedingungen unterliegt als in Deutschland. Oft zeigt sich dann, dass akademische Freiheit kein absoluter und damit einklagbarer Wert ist, sondern vielmehr von den Gesellschaften und Institutionen unterschiedlich geformt wird und als solche Gegenstand kritischer Auseinandersetzung ist, für die MWS-Institute einen Rahmen bieten können.
Voraussetzungen für die MWS-Arbeit vor Ort
Die MWS kann ihren Stiftungsauftrag im Ausland nur auf der Grundlage klar definierter Voraussetzungen erfüllen: Zentral ist der Gedanke, dass die Auslandsinstitute ihre Forschung unabhängig planen und durchführen können. Die Freiheit, eigene Themen in Kooperation mit lokalen Partnerinnen und Partnern dezentral entwickeln zu können, ist ein unverzichtbares Kernelement der MWS. Ohne diese Bewegungs- und Gestaltungsspielräume ist die wissenschaftliche Arbeit im Sinne des Stiftungsgesetzes nicht möglich.
Die Institute setzen ihren Auftrag von der Themenfindung bis zur Publikation der Forschungsergebnisse im Gastland um. Im Alltag erfordert dies ein Höchstmaß an Kenntnis der jeweils bestehenden rechtlichen, politischen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen. Nur so ist es den handelnden Akteuren möglich, ihre Handlungsfreiheit ohne fachliche Vorgaben bestmöglich und im Sinne der exzellenten Forschung und internationalen Anschlussfähigkeit der Institute zu nutzen.
Als Teil einer Bundesstiftung verfügen die MWS-Institute im Ausland über einen besonderen Status, der sie vor Ort von privatrechtlich organisierten Einrichtungen und vor allem von sog. Nichtregierungsorganisationen (NGO) grundlegend unterscheidet. Nicht zuletzt aufgrund dieser rechtlichen Verfasstheit stehen die Institute in engem Austausch mit den deutschen Auslandsvertretungen und sind sich ihrer besonderen Verantwortung im Rahmen der Außenwissenschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland bewusst. Indem sie im Gastland mit ihren Partnerinnen und Partnern vor Ort gemeinsame Interessen und Themen definieren, schaffen sie Schnittmengen, die für die Stärkung und den Ausbau der jeweiligen bilateralen Wissenschaftsbeziehungen unterzichtbar sind.