Die Entwicklung und Umsetzung ehrgeiziger Urbanisierungsprojekte und die Frage, wie sich diese mit den Zielen der nationalen Bildungspolitik vereinbaren lassen, spielen in vielen Ländern der Welt eine zentrale Rolle. Am Beispiel der Rajiv Gandhi Education City in Sonipat im indischen Bundesstaat Haryana zeigt Debarati Bagchi vom Max Weber Forum für Südasienstudien in Delhi das Zusammenspiel von Bildungs- und Urbanisierungspolitik und wie Bildung zu einem zentralen Treiber von Urbanisierungsprozessen im 21. Jahrhundert wurde.
Verstreut über die weiten Flächen der Rajiv Gandhi Education City (RGEC) lassen sich einige Gebäude der neuen privaten Universitäten erkennen. Die eingezäunten und mit Sicherheitsvorkehrungen versehenen noblen Campusse dieser Universitäten stehen in einem starken Kontrast zu den üppig grünen landwirtschaftlichen Feldern, die sie umgeben. Die RGEC ist ein Elite-Hochschulzentrum, das in der Region Sonipat-Kundli in Haryana, dem nördlichen Nachbarstaat von Indiens Hauptstadt Delhi, entsteht.
Sonipat war schon immer eines der wichtigsten Zentren des Agrargürtels im östlichen Haryana. In den letzten Jahrzehnten ist diese Region Teil eines groß angelegten Urbanisierungsplans geworden, der darauf abzielt, die National Capital Region (NCR) über Delhi hinaus zu erweitern, indem die an die Nachbarstaaten Haryana und Uttar Pradesh angrenzenden Randgebiete einbezogen werden. Die neuen privaten Universitäten, die in jüngster Zeit in dieser Region entstanden sind, haben die agrarischen Randgebiete erheblich verändert.
Hochschulpolitik und Urbanisierung der Delhi-National Capital Region zu Beginn des 21. Jahrhunderts
In meinem Projekt untersuche ich, wie neue private Universitäten zur sogenannten Urbanisierung der an Delhi angrenzenden Gebiete beigetragen und die Landschaft verändert haben. Die Untersuchung zeigt, dass der Bereich der Hochschulbildung in Indien seit den frühen 2000er Jahren einen phänomenalen Wandel erlebt hat. Die Beziehung zwischen Hochschulbildung, Landerwerb und Urbanisierung hat sich gewandelt. Dieser Wandel ermöglichte einen Diskurs über die Verflechtungen zwischen dem Grundstücks- und dem Bildungsmarkt. Zur Veranschaulichung dieser Verflechtungen untersucht mein Projekt die Geschichte des Landerwerbs für die RGEC und reflektiert über die Verbindungen zwischen Land und Universität.
Private Universitäten sind kein neues Phänomen in Indien. In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren, während der frühen Phase der Privatisierung, wurden die meisten indischen Universitäten gegründet, um marktorientierte technische Studiengänge anzubieten, die auch als „professionelle Studiengänge“ bekannt wurden. Der größte Teil der privaten Investitionen in die Hochschulbildung floss in die Bereiche Ingenieurwesen und Management und förderte den sogenannten IT-Boom in Indien. Das Konzept der privaten Universitäten, die Studiengänge in allen akademischen Disziplinen anbieten und auf der Basis von durch die staatliche Legislative verabschiedeten Gesetzen gegründet werden, ist ein eindeutiges Post-2000-Phänomen.
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ging man in der Politik, die die Urbanisierung von Delhi und der National Capital Region (NCR) betraf, davon aus, dass Delhi bald eine „World Class City“, das heißt eine Stadt mit Weltklasse-Niveau, werden würde. Gemäß diesen politischen Vorstellungen wurde Sonipat-Kundli als das Gebiet identifiziert, das als Teil der NCR urbanisiert werden könnte. Die Regierung des Bundesstaats Haryana wurde deshalb zur Ausarbeitung eines Plans aufgefordert. Die Abteilung für Stadt- und Landesplanung der Regierung von Haryana veröffentlichte im Jahr 2003 den endgültigen Entwicklungsplan für den multifunktionalen Stadtkomplex Sonipat-Kundli. Interessanterweise hat die University Grants Commission (UGC), die für die Steuerung der Hochschulpolitik und -bildung in Indien zuständig ist, im selben Jahr auch eine Reihe von Vorschriften speziell für die Gründung und den Betrieb privater Universitäten erlassen.
Die National Knowledge Commission und die Gründung privater Universitäten
Im Jahr 2005 sollte der groß angelegte Erwerb von Grundstücken für das Gebiet beginnen, das für ein „Weltklasse“-Bildungszentrum als Teil des städtischen Komplexes vorgesehen war. Im selben Jahr wurde die National Knowledge Commission (NKC) eingesetzt, um Änderungen hinsichtlich der Finanzierung der Hochschulbildung und der Lehrpläne zu erarbeiten. Diese sollten mit den Anforderungen des Marktes vereinbar gemacht werden. Die National Knowledge Commission kann als Wendepunkt in der Geschichte der Bildungskommissionen angesehen werden, da sie sich für die Beschaffung von Ressourcen für die Hochschulbildung aussprach. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Universitäten „auf einem großen Reservoir ungenutzter Ressourcen in Form von Land sitzen“, und schlug vor, dass diese ermutigt werden sollten, ihre Landansprüche zu kapitalisieren. Ab Anfang der 2000er Jahre begannen die Regierungen verschiedener Bundesstaaten, Gesetze zur Gründung privater Universitäten zu erlassen. Chattisgarh war der erste Bundesstaat, der im Jahr 2002 ein Gesetz zu Privatuniversitäten verabschiedete, gefolgt von Rajasthan im Jahr 2005, dem Bundesstaat mit den meisten Privatuniversitäten bis zum heutigen Tag. Die Vergabe von Grundstücken für Universitätszentren als Teil des städtischen Komplexes in Haryana wurde durch den Haryana Private Universities Act 2006 erleichtert. Das Gesetz besagt, dass nur die Investoren, die im Besitz einer bestimmten Menge an Grundstücken sind, als berechtigt angesehen werden, in Grundstücke für Universitäten in diesem Gebiet zu investieren.
Verbindungen zwischen Bildungspolitik und Stadtpolitik und die Rajiv Gandhi Education City (RGEC)
In meiner Untersuchung möchte ich darauf aufmerksam machen, wie die Rhetorik der Bildungspolitik mit der Stadtpolitik zu konvergieren begann. Während letztere Zonen für Immobilieninvestitionen in Townships, Straßen, Einkaufszentren usw. schuf, ebnete erstere den Weg für private Investitionen in Bildungszentren, die in diesen Zonen entwickelt werden konnten. Die Bildung wurde zu einem integralen Bestandteil des Urbanisierungsprozesses. Universitäten waren nun ebenso wie Straßen, Industrien und Wohnungen Teil des Diskurses über den Landerwerb für private Interessen und die Umwandlung von Agrarland in städtisches Land. In ähnlicher Weise verbreitete sich die Idee, dass Universitäten, um „weltklasse“ zu sein, Teil eines großen, umzäunten Gebiets mit anderen städtischen Annehmlichkeiten sein müssten.
Der Landerwerb für das RGEC begann im Jahr 2005. In neun Dörfern von Sonipat wurden fast 2.000 Hektar fruchtbares Agrarland erworben. Der Staat bot den Landwirtinnen und -wirten eine Entschädigung für ihr Land an. Nach einigen Jahren der Verhandlung akzeptierten die meisten Dörfer die Entschädigung. Ein Dorf forderte jedoch eine höhere Entschädigung und begann zu protestieren. Schließlich bot der Staat im Jahr 2011 eine höhere Entschädigung an und erwarb das restliche Land. Der Bundesstaat Haryana warb für Sonipat als aufstrebendes städtisches Zentrum in der Nähe von Delhi, um Unternehmen zum Kauf und zur Pacht von Land zu animieren. Der Staat fungierte als Landmakler, indem er landwirtschaftliche Flächen umzäunte und auf dem Immobilienmarkt vermarktete.
Die Immobilienmaklerinnen und -makler wiederum entwickelten ein paralleles Narrativ, indem sie das Bildungszentrum, das die Region schließlich urbanisieren würde, in den Vordergrund stellten, um potenziellen Käufern Wohn- und Gewerbegrundstücke zu verkaufen. Einige Immobilienunternehmen warben damit, dass die Rajiv Gandhi Education City nach ihrer Fertigstellung die größte Bildungsstadt der Welt sein werde, die 1,5 Lakh (= 150.000) Studenten aufnehmen werde. Die Immobilienunternehmen behaupteten in ihren Werbeanzeigen, dass geplant sei, Institutionen wie Oxford und Cambridge miteinzubeziehen, um auch internationale Studentinnen und Studenten anzuziehen. Oxford und Cambridge waren nicht nur Beispiele für die begehrte „Weltklasse“-Bildungsinfrastruktur, sondern dienten als Zauberworte, die potenzielle Investorinnen und Investoren sowie Käuferinnen und Käufer anlocken und die Spekulationen auf dem Immobilienmarkt ankurbeln sollten.
Die Zielsetzung des Forschungsprojektes
Meine Forschungsarbeit zeigt, dass die Universitäten nun als korporative Landbesitzer und die Staaten als Landmakler betrachtet wurden, um eine spezifische Verbindung zwischen Bildung und Urbanisierung zu ermöglichen. Zum ersten Mal wurde die Hochschulbildung als Teil einer größeren Zone von Unternehmensinvestitionen gesehen. Die Verkäuflichkeit von Immobilien in Sonipat hing von der Verkäuflichkeit der Hochschulbildung ab und umgekehrt.
Bildnachweise:
Cover Photo / Header: Rajiv Gandhi Education City, Sonipat © Debarati Bagchi.
Bild 1: Rajiv Gandhi Education City Plot No. 2A © Debarati Bagchi.
Bild 2: Karte der National Capital Region, die das Unionsterritorium Delhi und die angrenzenden indischen Bundesstaaten mit den Grenzen ihrer Distrikte zeigt. Die dargestellten Staaten sind: Delhi (rot), Haryana (grün), Rajasthan (blau) und Uttar Pradesh (lila). © Wikimedia Commons / Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 Deed, Ankit2, 5. Juli 2018, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:National_Capital_Region_(India).svg?uselang=de.
Bild 3: Standortbestimmung von Sonipat © Google Maps-Screenshot, Markierung durch Debarati Bagchi.
Bild 4: Rajiv Gandhi Education City, Sonipat: Site for Educational Plot No. 14. © Debarati Bagchi.
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