Thema Platzhalter

Methoden und Methodologien in der Japanforschung – (digital) vor Ort

Dr. Nora Kottmann

Die Japanwissenschaften sind ein interdisziplinäres Forschungsfeld und verfügen über keine „eigene“ Methodik. Sozial- und Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler forschen zu verschiedensten Themen und Fragestellungen rund um Japan oder Japan im regionalen und globalen Kontext. Dabei bedienen wir uns je nach disziplinärer Verortung der unterschiedlichsten Methoden: Einige Kolleginnen und Kollegen recherchieren in Archiven, andere planen Umfragen, nehmen statistische Berechnungen vor, führen Interviews oder machen teilnehmende Beobachtungen. Der neue Methodenschwerpunkt am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) – eingerichtet im Herbst 2020 – strukturiert und fördert den Austausch über diese Methodenvielfalt. Dies trägt nicht nur ganz pragmatisch dazu bei, Neues von Kolleginnen und Kollegen zu lernen, sondern bietet auch den Anlass und Rahmen, über Methoden und deren zugrundeliegende Forschungsparadigmen theoretisch zu reflektieren. Dabei geht es um Fragen wie: Was bedeutet eigentlich Multidisziplinarität in der Praxis und wie kann daraus Inter- oder Transdisziplinarität entstehen? Und speziell auf dem Gebiet der Regionalwissenschaften: Was bedeutet es, wenn sich der kulturelle Kontext der Forschenden vom kulturellen Kontext des Forschungsgegenstands unterscheidet?

Methoden: Unser Handwerkszeug

Methoden sind das Handwerkszeug der Wissenschaft; essentiell und Grundlage jeder Forschung – unabhängig vom Thema. Methoden sind aber auch divers – ebenso wie die zugrunde liegenden Weltsichten und Forschungsparadigmen. Diese Diversität „unter einem Dach“ wollen wir uns verstärkt zunutze machen und (noch) mehr in Austausch miteinander treten. Ein Blick auf die Lieblingsmethoden einiger der insgesamt bis zu 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am DIJ zeigt zum einen die Methodenvielfalt auf, verweist zum anderen aber auch auf die Möglichkeiten, die sich aus einem solchen Austausch ergeben können. Der Ökonom Markus Heckel erläutert beispielsweise:

„Wirtschaftwissenschaftler arbeiten fast auschließlich mit quantitativen Methoden und die Anwendung von ökonometrischen Modellen nimmt in ihrer Bedeutung stark zu. Die Kombination mit qualitativen Methoden bietet dagegen alternative Sichtweisen und Einblicke, die mit rein statistischen Methoden nicht möglich wären.”

Die Sozialwissenschaftlerin und Humangeographin Sonja Ganseforth schließt hier an und erklärt:

„Eine Mischung verschiedener Methoden hat in meinen Augen großes Potenzial, ein differenzierteres Bild des Forschungsgegenstandes zu erreichen. Ohne qualitative Informationen bleiben statistische Daten [...] für mich wenig aussagekräftig. Umgekehrt denke ich aber, dass die gründliche qualitative Untersuchung auch eines Einzelfalles einen großen Erkenntnisgewinn bringen kann.”

Celia Spoden, Sozialwissenschaftlerin und Philosophin, arbeitet gern mit qualitativen Methoden. Sie erläutert:

„Meine Lieblingsmethoden sind narrative Interviews und teilehmende Beobachtung. Narrative Interviews, weil sie den Forschungsteilnehmenden die Möglichkeit geben, ihre eigene Geschichte zu erzählen und selbst zu entscheiden, was relevant ist und welchen Sinn bestimmte Ereignisse oder Handlungen für ihre Erzählungen haben. Durch die eher zurückhaltende Gesprächsbeteiligung der interviewenden Person ist das Setting jedoch recht "künstlich". Genau aus diesem Grund ist die teilnehmende Beobachtung meine zweite Lieblingsmethode, da sie ein tieferes Eintauchen und Erleben des Forschungsfeldes erlaubt.”

Der zu Japan und Thailand forschende Historiker und Wirtschaftswissenschaftler David Malitz schließlich reflektiert:

„Ich habe bisher rein historisch gearbeitet und Quellen (Archive, publizierte Werke) auf Japanisch und Thai ausgewertet – Alternativen gab es da gar nicht. Methodisch, finde ich, macht es kaum einen Unterschied, ob nun zum Beispiel eine Zeitung vor 100 Jahren oder vor einer Woche veröffentlicht wurde. So kann ich die gleiche Methode nutzen, um mich mit der Gegenwart zu beschäftigen.”

Der hier skizzierte Austausch zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten, allem voran aber Chancen einer Methodenreflexion auf. Auch wenn teilweise „methodische Übersetzungsleistungen“ zwischen den Disziplinen erbracht werden müssen, so ergibt sich hier die Möglichkeit neue methodische Zugänge kennenzulernen, Methoden sinnvoll zu kombinieren, unsere (implizit) immer auch vergleichende Perspektive zu reflektieren und so unterschiedliche „Werkzeuge“ für die Forschung nutzbar zu machen. Die Soziologin Barbara Holthus, stellvertretende Direktorin des DIJ, fasst dies exemplarisch zusammen: „Für mich ist die ideale Methode ein Methodenmix aus qualitativer und quantitativer Forschung.”

Die Pandemie: (Ein-)Reisebeschränkungen, social distancing und die „3C“

Grundsätzlich neu überdenken mussten wir unsere Methoden seit Beginn der Pandemie: Wie wohl alle Forschenden weltweit haben wir den Einfluss der Pandemie auf unsere Arbeit am eigenen Leib erfahren. Alle (methodischen) Vorteile der „Japanforschung vor Ort“ waren und sind in Frage gestellt: Ende Februar 2020 wurden die ersten Veranstaltungen abgesagt und restriktive Einreisebeschränkungen erlassen; social distancing und die Vermeidung der sogenannten „3C“ (closed spaces, crowds and close-contact situations) wurden zur Devise. Wir waren mit diversen Fragen konfrontiert: Wie können wir trotz Pandemie weiterforschen? Welche Methoden bieten sich jetzt (noch) an? Wie können wir den kollegialen Austauch gerade jetzt fördern? Mittlerweile haben wir uns alle recht gut an die aktuelle Situation angepasst: Wir haben über Methoden in Zeiten der Pandemie reflektiert und uns im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen weltweit neue Methoden erschlossen. Online-Interviews sind zur “neuen Normalität” geworden (auch für die eher quantitativ arbeitenden Kolleginnen und Kollegen) und mit Sonja Ganseforth und Nora Kottmann haben sich zwei traditionell qualitativ arbeitende Wissenschaftlerinnen für je eine quantitative (und somit “socially distant”) Umfrage entschieden.

Neue/alte Methoden: Interdiszipliäre Japanforschung (digital) vor Ort

Nicht zuletzt die Pandemie hat die Chancen, die sich aus einem Austausch über Methoden und Methodologien – insbesondere in interdisziplinären Teams – ergeben (können), in aller Deutlichkeit offengelegt. Neue, eher unerwartete Formen des Austauschs und der interdisziplinären Zusammenarbeit sind entstanden; “neue” (alte) digitale Methoden wurden weiterentwickelt, der Austauch mit Kolleginnen und Kollegen intensivierte sich dank virtueller Kommunikationsmethoden, neue Themenfelder – bspw. ein Sonderprojekt zu COVID-19 in Japan – wurden erschlossen. Aber auch, wenn wir mittlerweile alle recht gut an digitale(re) Methoden und einen virtuellen Austausch gewöhnt sind:  Dennoch sehnen wir uns zunehmend nach “normaler” Forschung vor Ort, dem Austausch mit Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie mit Stipendiatinnen und Stipendiaten. Und natürlich nach den (wirklich) wichtigen Kaffeepausen auf “echten” – in Zukunft vielleicht hybriden – Konferenzen.

Interesse an unserer Forschung? Ein Überblick über unsere Forschungsschwerpunkte und Einzelprojekte findet sich hier.