Die Beschädigung von Denkmälern und anderen visuellen Darstellungen im öffentlichen Raum aus verschiedensten Gründen hat in den vergangenen Jahren einen Schub an Aufmerksamkeit erfahren, beispielsweise im Zuge der Berichterstattung über die #BlackLivesMatter-Bewegung oder zuletzt im Zusammenhang des Krieges in der Ukraine. Weniger bekannt ist jedoch, dass Bildersturm und Denkmalsturz auch im Mittelalter gängige Praktiken sowohl des Widerstandes als auch des Machterhalts waren. Eine Konferenz am Deutschen Historischen Institut London ging der mittelalterlichen Zerstörung von visuellen Darstellungen kürzlich nach.
Als russische Soldaten in die Ukraine einmarschierten, entfernten sie öffentlichkeitswirksam die Hoheitszeichen der Ukraine. Der Krieg gegen die Menschen dort ist auch ein Krieg gegen ukrainische Zeichen und Bilder. Begriffe wie “Ikonoklasmus”, “Bildersturm” und “Denkmalsturz” sind schon seit dem Versenken eines Abbilds des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol 2020 im Zusammenhang mit den #BlackLivesMatter-Protesten oder auch seit der Beschädigung einer Büste des US-Präsidenten Zachary Taylor während des Sturms auf das Kapitol durch Trump-Anhänger 2021 in vielerlei Munde. Bei der Zerstörung von Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan durch die Taliban oder der Schändung des Bēl-Tempels im syrischen Palmyra durch Daesh konnte die Motivation noch schlicht in religiösem Eifer gesucht werden. Nun finden sich Beweggründe für jüngere Handgreiflichkeiten gegenüber visuellen Darstellungen aber eben auch in sehr unterschiedlichen, jedoch eindeutig politischen Überzeugungen und Zugehörigkeiten.
Gesellschaftlicher Wandel und Bild(er)gewalt
Die Folgerung des Kunsthistorikers Martin Warnke von 1973, „daß die Voraussetzungen, durch die der Bildersturm über Jahrtausende hinweg eine legitime Artikulationsform war, heute hinfällig geworden sind”, trifft also wohl kaum (mehr) zu. Das zeigte schon die systematische Demontage der Denkmäler Lenins und Stalins nach dem Ende der DDR und dem Fall der Sowjetunion. Sie reiht sich ein in eine lange Tradition von Aktionen gegen visuelle Repräsentationen politischer Ordnungen in Zeiten des erreichten oder erhofften Umbruchs – vom Ende der nationalsozialistischen Herrschaft über die Französische Revolution bis zu den Englischen Bürgerkriegen im 17. Jahrhundert. Schon im Römischen Reich und selbst im Alten Ägypten lassen sich vergleichbare politische Motive für Aktionen gegenüber visuellen Darstellungen ausmachen. Zwischen Altertum und Neuzeit jedoch erscheint das Mittelalter auf den ersten Blick als eine Leerstelle.
Das Mittelalter — (k)eine Ausnahme?
Gerade das Mittelalter wird oft als Zeitalter frommen Glaubens und strenger Ausrichtung auf das Jenseits wahrgenommen. Außerdem befindet es sich zwischen zwei Höhepunkten religiöser Gewalt gegenüber Bildern: dem byzantinischen Bilderstreit im 8. und 9. Jahrhundert einerseits und den Bilderstürmen der europäischen Reformationen im 16. Jahrhundert andererseits. Vielleicht beschäftigte sich die Forschung angesichts dieser Annahmen über das Mittelalter und der Prominenz byzantinischer und reformatorischer Ablehnung von Bildern kaum mit der Frage, ob nicht auch mittelalterliche Menschen ihr Unbehagen über ihre ganz weltliche Gegenwart mithilfe von Widerstand und Gewalt gegenüber visuellen Darstellungen ausdrückten. Auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung liest man etwa, das Mittelalter habe den Denkmalsturz zum Zeichen von Herrschaftskritik nicht gekannt.
Umsturz und Machterhalt
Die Vorträge einer Konferenz am Deutschen Historischen Institut London und dem Warburg Institute, ausgerichtet zusammen mit dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) und gefördert durch die Thyssen Stiftung und den Leibniz-Forschungsverbund „Wert der Vergangenheit”, zeigten nun das Gegenteil. Die Bildnisse in Ungnade gefallener Herrscher wurden ebenso angegriffen wie ihre Namen aus Inschriften getilgt wurden. Die Wappen, Abzeichen und Kleidungsstücke von Gegenspielern wurden gezielt zerstört, ihre Häuser verbrannt oder ihre Grabmäler geschändet. Auch wurden subversive Gegenbilder geschaffen, so dass der Kopf einer erhabenen Papstfigur zum Fußball spielender Kinder wurde oder ein Bischof die hochgeschätzten Mühlsteine einer Stadtgemeinde als Zeichen des Sieges über eine widerspenstige Bürgerschaft stolz in seiner Residenz ausstellte. Selbst das Vorenthalten des Rechts auf visuelle Darstellung als eine Art Zensur war dem Mittelalter bekannt, wenn etwa die städtische Elite den gewöhnlichen Bürgern die Stiftung frommer Kunstwerke in Kirchen versagte oder die Beisetzung eines Thronanwärters der Zeichen und des Zeremoniells eines Königs entbehrte. Tatsächlich mochte so ziemlich jeder Gegenstand, jede visuelle Darstellung zum Ziel von zensierenden, beschädigenden, zerstörenden oder zweckentfremdenden Praktiken werden. Die Voraussetzung war entweder, dass – sozusagen „von unten” – diese Darstellungen auf Personen, Strukturen oder Ansprüche verwiesen, die man nun ablehnte. Oder diese Darstellungen wurden – sozusagen „von oben” – verdächtigt, einen liebgewonnenen status quo zu untergraben. Insofern war Widerstand und Gewalt gegenüber visuellen Darstellungen schon im Mittelalter ein gestaltendes kommunikatives Werkzeug sozialer und politischer Konflikte.
Zukunft durch Zerstörung
Der mittelalterliche Befund unterstützt die Diagnose des kürzlich verstorbenen französischen Soziologen Bruno Latour, der annahm, dass es schon immer eine enge Verbindung zwischen Bildern und Politik gegeben habe. Aus diesem Grund sei gegen visuelle Darstellungen gerichtetes Handeln niemals auf das Feld der Religion beschränkt gewesen. Schon im Mittelalter wollten Menschen mit Bildern und Zeichen – und eben auch mit Widerstand und Angriffen gegen solche visuellen Darstellungen – nicht nur soziale und politische Ordnung abbilden, sondern auch gestalten.
Details zu den Konferenzbeiträgen finden Sie auf dem Blog des Deutschen Historischen Instituts London.
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