Aktuelle Entwicklungen in der türkischen Sprachpolitik

Dr. Ruth Bartholomä

Ist die Übernahme von Fremdwörtern eine Bedrohung oder ein Gewinn für eine Sprache? Diese Frage löst in vielen Ländern, auch in Deutschland, häufig Diskussionen aus und stellt sich auch in der Republik Türkei. Immer wieder weisen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft, aber auch interessierte Bürgerinnen und Bürger auf den – ihrer Meinung nach – übermäßigen Gebrauch englischer Wörter hin und fordern Gegenmaßnahmen. Dieses und andere Themen werden kontrovers diskutiert, wenn es in der Türkei um Fragen der Sprachpolitik geht. Forschungsarbeiten konzentrieren sich häufig auf die frühen 1920er und 1930er Jahre – zweifellos eine entscheidende Phase für die türkische Sprache, doch auch in der Gegenwart gibt es spannende Debatten und Entwicklungen.

Nach der Gründung der Republik Türkei am 29. Oktober 1923 führte Mustafa Kemal Atatürk eine Reihe von Reformen durch, die verschiedene Bereiche des öffentlichen Lebens betrafen. Ziel war es, eine moderne Nation zu schaffen. Eine Schlüsselrolle nahm dabei die türkische Sprache ein. Zwei Maßnahmen betrafen sie hauptsächlich: Zum einen die sogenannte Schriftreform, bei der die (noch heute verwendete) Lateinschrift Ende 1928 das arabische Alphabet ersetzte.

Die zweite Maßnahme war die sogenannte Sprachreform, deren wichtigstes Ziel man als sprachlichen Purismus bezeichnet: Jene Wörter und grammatischen Konstruktionen zu ersetzen, die aus dem Arabischen und Persischen übernommen worden waren. Zur Unterstützung dieser Maßnahme gründete Atatürk 1932 die „Türkische Sprachgesellschaft“ (Türk Dil Kurumu, TDK; seit 1983 Teil einer übergeordneten Gesellschaft, der „Hohen Atatürk-Gesellschaft für Kultur, Sprache und Geschichte“). Die TDK verfolgte auch nach dem Tod Atatürks ihre puristische Linie weiter, wobei nach und nach auch Wörter aus europäischen Sprachen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten.

Die TDK und ihr Kampf gegen Fremdwörter

In den letzten Jahren geht die TDK hauptsächlich gegen Fremdwörter vor, die aus dem Englischen in das Türkische übernommen wurden, meist in Zusammenhang mit technischen Neuerungen. Ein Vorschlag der TDK war etwa, das – auch im Deutschen gebräuchliche – Wort „selfie“ durch einen türkischen Begriff zu ersetzen. Gleichzeitig gab die TDK weitere Anregungen und rief gelegentlich auch auf ihren Social-Media-Kanälen dazu auf, Vorschläge einzusenden. So soll eine „Überfremdung“ des Türkischen verhindert werden.

Eine genaue Analyse zeigt jedoch, dass die TDK in den letzten Jahren auch Wörter ins Visier nahm, die nicht in jüngster Zeit aus dem Englischen entlehnt wurden, sondern schon seit Jahrzehnten verwendet werden und ursprünglich aus anderen Sprachen wie dem Französischen stammen. Auch waren nicht alle Ersetzungsvorschläge rein türkische Wörter, sondern haben teils Wurzeln im Arabischen oder Persischen. Eine ganz klare puristische Linie lässt sich somit nicht erkennen, und zugleich bleibt die Frage offen, ob sich die Anregungen der TDK im täglichen Sprachgebrauch durchsetzen können: Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer verwenden die türkische Alternative zu „selfie“ jedenfalls eher selten.

Vorschlag mit Konsequenzen: Die Umbenennung von Sportstadien

Es gibt jedoch aus dem Politikbereich ein Beispiel, in dem ein Ersetzungsvorschlag tatsächlich konkrete Konsequenzen hatte. Präsident Erdoğan hatte 2017 wiederholt angemerkt, dass das Wort „arena“ bei der Bezeichnung von Sportstadien nicht mehr verwendet werden solle. Alle Vereine, die „arena“ im Stadionnamen hatten, benannten daraufhin ihre Sportstätten um.

Dieses Beispiel macht deutlich, dass sprachpolitische Äußerungen durchaus konkrete und sichtbare Konsequenzen haben können. Gleichzeitig zeigt der Fall jedoch auch, dass der gerne geäußerte Vorwurf, Präsident Erdoğan wolle englische Wörter durch arabisch-persische Entsprechungen ersetzen, nicht stimmt: In den meisten Fällen wurde „arena“, ursprünglich lateinisch, durch „stad“ oder „stadyum“ ersetzt, also ein Wort mit griechischen Wurzeln. Einen Sonderweg ging der Verein Beşiktaş JK, der “park” wählte.

 

Die türkische Sprache: Bedroht oder „Weltsprache“?

Während einerseits die Gefahr einer „Überfremdung“ des Türkischen durch englische Wörter verhandelt wird, stehen in weiteren Debatten zum Türkischen der Zustand der Sprache und ihre überregionale Bedeutung im Fokus. Viele Äußerungen zeichnen dabei ein positives Bild und betonen immer wieder Schönheit und Reichtum der Sprache, ihre Fähigkeit zur Anpassung und Weiterentwicklung sowie ihren Status als Weltsprache. Dieser ergebe sich aus der hohen Zahl der Türkischsprecherinnen und -sprecher, zu denen meist nicht nur Gruppen wie türkeistämmige Migrantinnen und Migranten in Deutschland, sondern auch Sprecherinnen und Sprecher verwandter Turksprachen wie etwa des Aserbaidschanischen oder Usbekischen gerechnet werden. Auch der Export türkischer Fernsehserien in die ganze Welt ist demnach ein Erfolgsfaktor: Hierdurch hätten nach Ansicht der TDK „Millionen Menschen“ begonnen, die Sprache zu lernen.

Sprache verändert sich ständig. Wenn auch die Veränderungen des Türkischen heute nicht mehr so tiefgreifend sind wie in den 1920er und 1930er Jahren, werden sie doch aufmerksam wahrgenommen, diskutiert und zum Teil auch aktiv geplant und initiiert. Ob Veränderungen dabei als Bedrohung oder als etwas Positives wahrgenommen werden, ist eine Frage der Perspektive. Wie über Sprache diskutiert wird, sagt jedoch eine Menge über das Sprachverständnis und auch die Vorstellung von Nation aus. Ein Blick auf sprachpolitische Entwicklungen in der Republik Türkei und Reaktionen darauf bleibt daher weiterhin spannend.

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