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Die Erfindung der sozialistischen Umwelt. Mediale Vermittlungen der modernen Stadt in der DDR

Dr. Marie-Madeleine Ozdoba

1957. Neben der Städtebauausstellung Die Stadt von Morgen werden in Westberlin Musterbauten modernen Wohnens eingeweiht. Zeitgleich ebnet in der DDR die Entstalinisierung der Baukultur den Weg für den funktionalistischen Städtebau. Die „moderne Stadt“ scheint sich somit, jenseits der unüberwindlichen politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Unterschiede, in BRD und DDR parallel zu entwickeln. Diesem Narrativ folgt eine nachträgliche Legitimierung durch die jüngere Architekturgeschichte, welche den Bauten der DDR einen Platz im Kanon der Moderne einräumt. Aber ganz anders als im Westen wurden moderne Architektur- und Städtebauprojekte in der DDR als konkrete räumliche Realisierungen des Sozialismus vermittelt, in Presse, Ausstellungen sowie in populärwissenschaftlichen Filmen und Publikationen. Diese heute oftmals vergessene Erzählung untersucht Marie-Madeleine Ozdoba am DFK Paris.


Trotz aller Parallelen der Raumgestaltung beruhen Raumimagination und Raumerfahrung zutiefst auf gesellschaftlichen Erzählungen, wie man sich diese Räume vorzustellen hat und wie sie mit Leben erfüllt werden. Diese könnten sich in Ost und West nicht deutlicher unterscheiden: In der BRD wurde die moderne Stadt – in Anlehnung an die Vereinigten Staaten – dem breiten Publikum meist in der Perspektive eine unaufhaltsamen Entwicklung zum Liberalismus vermittelt. In der DDR hingegen war die mediale Erzählung von Architektur- und Städtebauprojekten – in Anlehnung an die Sowjetunion – stark durch die marxistisch-leninistische Weltanschauung geprägt, getreu dem Motto „Wir gestalten unsere sozialistische Umwelt“. So wurden in der DDR die modernen Stadträume des Wiederaufbaus als Mittel und Zweck des erfolgreichen Weges in den Sozialismus dargestellt und zelebriert – als eine Errungenschaft historischer Reichweite. Diese Erzählung ist heute weitgehend vergessen: Während zum Beispiel das Haus des Lehrers und der Fernsehturm im Zentrum Berlins unbestritten dem gesamtdeutschen Kulturerbe angehören, wurden die unzähligen Darstellungen des Alexanderplatzes als sozialistischem Stadtraum in der Geschichtsschreibung ignoriert, im Zuge einer radikalen Verbannung der Rhetorik des SED Regimes nach der Wiedervereinigung.

Im Geflecht von Politik, Baukultur und Medien

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die kontinuierliche mediale Erzählung der Stadtzentren der DDR in Presse, Fernsehen, Ausstellungen, populärwissenschaftlichen Filmproduktionen und Publikationen. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich dabei von der Mitte der 1960er Jahre bis zum Mauerfall. Einen exemplarischen Einblick in Vorzeigeprojekte des Regimes, wie zum Beispiel das Zentrum Berlins, Hauptstadt der DDR, ergänzen drei komplementäre Fallstudien, die einzelne mediale Komplexe näher beleuchten: die auf Architektur- und Städtebau bezogenen Produktionen des Regisseurs Gerhard Jentsch für die Deutsche Film AG / DEFA (Neues Leben – Neues Bauen, 1964 ; Unser Land die DDR, 1972), die Bezirksausstellungen und die zentrale Ausstellung Architektur und Bildende Kunst zum 20. Jahrestag der DDR (Altes Museum, Berlin, 1969) sowie die neunbändige Buchreihe Geschichte der Stadt in Wort und Bild, erschienen im VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften (1978-1988).

Verkannte Akteurskonstellationen jenseits des Diktaturgedächtnisses

Das Forschungsprojekt spürt dieser offiziellen Erzählung der modernen Stadt als gebaute Umwelt des Sozialismus nach. Während Städtebauforschung und Kunstgeschichte häufig die Programmatik und die besonderen Produktionsbedingungen von Architektur und Städtebau in der DDR untersuchen, hat mein Projekt ein anderes Ziel. Es bringt den unterbelichteten Komplex aus ideologischem Überbau, organisatorischer Umsetzung und medialer Ausformulierung zu Tage, der die moderne Stadt in der DDR als konkrete Verwirklichung des Sozialismus zu vermitteln suchte: Die bereichsübergreifende Untersuchung reicht von der Regierungsebene bis zur Zivilgesellschaft, vom Politbüro bis zu Presseredakteuren und vom Ministerium für Bauwesen bis zu Filmregisseuren. Den ideologisch ausgeprägten Richtlinien der Politik wird eine bekennende Haltung zum Sozialismus seitens der Vertreterinnen und Vertreter aus Film und Presse sowie aus Fotografie, Verlags- und Ausstellungswesen gegenübergestellt. Einer Reihe zwischengeschalteter Institutionen – wie dem Rat für Geschichtswissenschaft der DDR im Institut für Marxismus-Leninismus – kommt zudem eine tragende Rolle in der Formulierung zugrundeliegender Geschichtsauffassungen zu.

Archivbestände sowie Gespräche mit Zeitzeugen bieten einen seltenen Einblick in bislang unerforschte Akteurskonstellationen, die jenseits der notorischen Strukturen der Machtausübung in der DDR an der Popularisierung von Architektur- und Städtebauprojekten mitgewirkt haben. Durch die Erfassung komplexer Einflüsse, Motivationen bzw. Verzichtentscheidungen im Prozess der medialen Vermittlung der modernen Stadt in der DDR entsteht ein differenziertes Bild, das – in Anlehnung an jüngere Tendenzen der DDR-Geschichtsschreibung – den binären Auffassungen eines reinen „Diktaturgedächtnisses“ widerspricht.

Methodologischer Schwerpunkt

Auf theoretischer Ebene zeichnet sich eine transmediale Erzählung vom Sozialismus mittels Architektur und Städtebau ab, die ihre Wirkungskraft aus der übergreifenden Erarbeitung – sowie auch aus der übergreifenden Rezeption – von gebauten Projekten und ihrer medialen Vermittlung schöpft. Diese Erzählung stellt die Methoden der Architekturgeschichte vor die Herausforderung einer Verflechtung mit der Geschichte der Umweltdiskurse, der Geschichte der sozialen Praktiken sowie mit der Medien- und Bildwissenschaft. Dementsprechend bilden die Erarbeitung transdisziplinärer Herangehensweisen und bereichsübergreifender Kategorien sowie die kritische Reflexion über die Zugangsbedingungen an ein verschwindendes DDR-Gedächtnis methodologische Schwerpunkte der Arbeit. Als Ergebnis wird – über einen Beitrag zur Historiographie der DDR hinaus – beansprucht, das Verständnis für mediale Instrumentalisierungen der gebauten Umwelt zu schärfen, die eben nicht mit der DDR ausgestorben sind.

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