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Die Erniedrigung vor dem Aufstieg. Hazing an US-Universitäten (1850er-1930er Jahre)

Dr. Raphael Rössel

Gewalt, Trinkgelage, Demütigungen. Wer in den USA Teil von Hochschulgruppen werden möchte, muss sich oft extremen Riten unterwerfen. Die Hälfte aller US-Studierenden hat laut Umfragen das sogenannte Hazing erlebt, das nahezu jährlich Todesopfer fordert. Seit vielen Jahrzehnten versuchen Hochschulen durch Verbote – erfolglos – diese Praxis einzudämmen. Raphael Rössel vom Deutschen Historischen Institut Washington widmet sich in seiner Forschung der bisher eher unbekannten Frühgeschichte dieser Rituale.


Für John Rockefeller Junior war es nur eine Randnotiz. Im Herbst 1893 berichtete er seinem Vater, dem Ölbaron und reichsten Menschen der Welt, John Rockefeller Senior, von seiner Ankunft an der elitären Brown University. Er habe sich direkt heimisch gefühlt. Im Rahmen der Aufnahme in eine Bruderschaft (fraternity) seien er und ein Kommilitone kürzlich von Mitgliedern dieser Verbindung schikaniert worden. Es sei aber „nicht der Rede wert“. Doch im Anschluss seien die Brüder dann so rabiat mit weiteren Neuankömmlingen verfahren, dass fünf Mitgliedern nun der Verweis von der Universität drohe. Diese Episode zeigt einerseits, wie selbstverständlich es für Rockefeller und die meisten Studierenden im ausgehenden 19. Jahrhundert war, sich erniedrigen zu lassen, bevor man zur Uni-Elite gehören durfte. Anderseits zeigt die Reaktion der Universität, dass diese Rituale von offizieller Seite keineswegs geduldet wurden.

Hazing – Gewalt und Elitarismus in den USA

Unter dem Sammelbegriff Hazing werden herabsetzende und oft gewalttätige Praktiken gefasst, die vor allem Neulinge in Studentenverbindungen und Studierende in ihrem ersten Studienjahr über sich ergehen lassen müssen. Dazu gehören Mutproben, Bloßstellungen, Wetttrinken und auch handfeste Gewalt. Mein Projekt untersucht den Wandel im kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dieser Praktik zwischen den 1850er Jahren und dem Zweiten Weltkrieg.

Das Projekt begibt sich damit in eine exklusive Sphäre. Im 19. Jahrhundert war ein Studium noch ein Elitenphänomen, weniger als zwei Prozent der amerikanischen Bevölkerung besuchten Hochschulen. Zur Mitte des Jahrhunderts wurde erstmals unter dem Begriff Hazing über das unter männlichen Studenten grassierende Gewaltphänomen in nationalen Medien berichtet. Nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg schien es nahezu jeden Campus in den USA erreicht zu haben.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die zusehends panische öffentliche Diskussion um Hazing mit nahezu jeder zeitgenössischen Debatte über den rasanten Wandel der amerikanischen Gesellschaft verknüpft. War Hazing etwa eine Ersatzhandlung für die im nun erschlossenen „Wilden Westen“ nicht mehr gebrauchte (männliche) Härte? Oder war Hazing, so befürchteten andere, ein Ausdruck fehlender „Zivilisiertheit“?

Bei den Debatten um Hazing ging es stets auch um Teilhabe: Sprachen die Gewaltrituale zum Beispiel dagegen, Frauen gemeinsam mit Männern studieren zu lassen? Zwar wurden über Hazing Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen ausgehandelt, doch – wie die US-Öffentlichkeit rasch erfuhr – war es keineswegs so, dass es unter Frauen solche Rituale nicht gegeben hätte.

In den 1930er Jahren schien Hazing aus der Mode zu kommen. Per Verfassungszusatz wurde zwischen 1920 und 1933 der Verkauf und die Herstellung von Alkohol im Rahmen der sogenannten Prohibition untersagt, wodurch auch die Durchführung von Trinkritualen auf dem Campus erschwert wurde. Diese Entwicklungen und das Verbot von Initiationsritualen an immer weiteren prestigeträchtigen Einrichtungen veranlassten einige Journalistinnen und Journalisten dazu, die Praxis für beendet zu erklären.

Ausgangpunkt Militärakademien

Konkret untersuche ich Hazing anhand von vier Hochschultypen: staatliche und private Universitäten, Frauencolleges, Einrichtungen für Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner und Militärakademien. Besonders intensiv wurde über Hazing an letzteren Einrichtungen diskutiert. Seit den 1870er Jahren veröffentlichte Undercoverberichte über extreme Rituale unter Kadetten erschütterten die amerikanische Öffentlichkeit nochmals stärker als Fälle an zivilen Hochschulen. Schließlich wurden Militärakademien nicht nur aus Steuergeldern finanziert, sondern Hazing zog die moralische Integrität der angehenden Offiziere und damit letztlich der US-Streitkräfte insgesamt in Zweifel. In den 1870er und 1880er Jahren untersagte der Kongress diese Rituale an der nationalen Marine- und der Militärakademie. Seitdem mussten sich Täter vor Militärgerichten verantworten.

Zwar wurden zahlreiche Kadetten tatsächlich aufgrund von Hazing-Vergehen verurteilt und aus dem Kriegsdienst entfernt. Doch viele Generäle zögerten, junge Männer aus „gutem Hause“ tatsächlich für immer aus dem Militär zu verbannen. Gut vernetzte Eltern übten zudem Druck auf hochrangige Militärangehörige, Kriegsminister oder gar Präsidenten aus, um ihre Söhne zu rehabilitieren. Oft mit Erfolg: US-Präsidenten wie Theodore Roosevelt (1901-1909) begnadigten zahlreiche Kadetten, die durch Militärgerichte aufgrund von Hazing ihrer Ausbildungseinrichtungen verwiesen worden waren. Angesichts des Aufstiegs der USA zu Militärmacht, so die Kritik an der Verfolgung von Hazing, könnte man es sich nicht leisten, den Offiziersnachwuchs aufgrund vermeintlicher Lappalien zu dezimieren.

Das Forschungsprojekt entspricht einem wachsenden Interesse an der Kultur- und Sozialgeschichte von Privilegierungsprozessen. Die Geschichte des Hazing an US-Colleges im ausgehenden 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert gibt Einblick in die Konjunkturen der Akzeptanz von Gewalt und Demütigung beim Eintritt in elitäre Gemeinschaften. Damit erlaubt sie einen neuen Blick auf die für das amerikanische Selbstverständnis so zentralen Fragen der Gleichheit und der Gleichrangigkeit.

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