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Musikalische Begriffsgeschichten

PD Dr. Sabine Ehrmann-Herfort

Begriffe wie „Oper“, „Operette“, „Musiktheater“ und „Kapelle“ sind nicht nur musikwissenschaftliche Fachbegriffe, sondern zeichnen sich auch durch eine vielfältige, sich wandelnde Begriffsgeschichte aus. Die Musikwissenschaftlerin PD Dr. Sabine Ehrmann-Herfort geht am Deutschen Historischen Institut in Rom der Geschichte von Begrifflichkeiten aus der Vokalmusik nach.


Begriffsbedeutungen sind Veränderungen unterworfen, aus denen vielfältig oszillierende Begriffsinhalte hervorgehen können, die die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich ziehen. Für die Musik gibt es eine Fülle von Fachwörtern, die ein buntes Spektrum an verschiedensten – auf den ersten Blick auch überraschenden – Bedeutungen beinhalten. Warum nennt man beispielsweise ein professionelles Ensemble von Sängern und Instrumentalisten[1] in der Frühen Neuzeit eine Kapelle? Wird mit dem Begriff doch sonst auf einen religiösen Andachtsraum referiert. Wie lässt es sich erklären, dass die Evangelisten-Stimme in frühneuzeitlichen Oratorien stets mit einem Tenor besetzt wird? Und worauf lässt sich zurückführen, dass Tenören stets die Aura des Besonderen anhaftet und sich der Begriff Tenor somit auch außerhalb eines engeren musikalischen Kontextes als bedeutend durchgesetzt hat? Jede und jeder wird auf diese rhetorischen Fragen ganz individuelle Antworten formulieren. Dennoch verweisen die angedeuteten Problemhorizonte auf instruktive begriffsgeschichtliche Entwicklungen, die sich – gerade im Falle von Kapelle und Tenor – über Jahrhunderte hinweg herausgebildet haben.

Neue, übergreifende Zugangswege zur (musikalischen) Begriffsgeschichte

Beide exemplarisch angesprochenen Begriffe bieten ein großes Potenzial für erkenntnisreiche musikwissenschaftliche Untersuchungen und die (Re-)Konstruktion ihrer Begriffsgeschichten. Damit öffnet sich zugleich auch ein bedeutsames Stück europäischer Musikgeschichte. So ist seit den Anfängen der musikalischen Terminologie unbestritten, dass musikalische Begriffswörter über ihre Bestimmungen als Bezeichnungen hinaus eine wichtige Quelle historischer Erkenntnis und musikalischen Wissens darstellen. Derzeit erlebt die Begriffsgeschichte, auch die musikalische, (wieder) einen deutlichen Aufschwung. Allerdings befinden sich die begriffsgeschichtlichen Fragestellungen in großen Veränderungsprozessen. Während man früher stets auf „die alte Sonderstellung der Musik“ rekurrierte und die Musik dabei vornehmlich auf sich bezogen fokussierte, so rücken heute verstärkt Nachbardisziplinen und übergreifende Fragestellungen in den Blick. Die Forschungsfragen haben sich inzwischen grundlegend gewandelt; der „historische Index“ und mit ihm die begriffsgeschichtliche Forschung selbst werden zum Forschungsgegenstand. Dynamischere Leitgedanken, relationale Bezüge, Durchlässigkeit der Konstellationen – mit solchen Wendungen lassen sich die neuen Zugangswege zur Begriffsgeschichte skizzieren. Ebenso werden zurzeit im Bereich der musikalischen Seite der Begriffsgeschichte – auch sie ist heute weniger denn je in Stein gemeißelt – neue Forschungsfelder erschlossen.

Die Faszination der Begriffsgeschichte liegt dabei darin, dass sich bei der Herausbildung von Begriffsinhalten der bezeichnende Terminus und die bezeichnete Sache wechselseitig beeinflussen und beide Entwicklungsstränge auf kaum zu entwirrende Weise miteinander verwoben sind. Ihr Gegenstand sind die Fachbegriffe einer Disziplin, in denen sich fachspezifische Prozesse herauskristallisieren. Zu den zentralen Aufgaben begriffsgeschichtlicher Forschung gehört somit, die in den Fachtermini verdichteten Kontexte zu analysieren und dabei zugleich unterschiedliche Entwicklungsphasen und Bedeutungsmodifikationen zu reflektieren. Auch in den Geschichten musikalischer Fachbegriffe spiegeln sich vielgestaltige historische Prozesse, denn bei musikalischen Termini handelt es sich selten um statische, abgeschlossene Einheiten, sondern vielmehr häufig um dynamische und multifaktorielle Bezeichnungsverfahren.

Studie zu Begrifflichkeiten der Vokalmusik

Die in Arbeit befindliche Studie nutzt ein offenes und nicht hierarchisch strukturiertes Korpus zentraler Begrifflichkeiten aus der Vokalmusik, zu denen einflussreiche Vokalgattungen einerseits sowie musikalische Institutionen und weitere Begriffsprägungen mit vokalmusikalischer Relevanz anderseits gehören. Im Fokus der Untersuchungen stehen Begriffe wie Madrigal, Monodie, Kantate, Oper, Operette, Musiktheater und Kapelle, deren Wortgeschichte häufig in der Antike oder in mittelalterlichen Kontexten beginnt. Die zumeist aus dem italienischen Sprachbereich stammenden Begriffsprägungen sind dabei mit stetig modifizierten Konnotationen verbunden. Den komplexen Geschichten dieser Termini ist gemeinsam, dass sie infolge innovativer Konzepte und einer sich verändernden Kompositionspraxis mehrfach neu ausgerichtet werden. Außerdem ist den in die Untersuchung einbezogenen Begriffsprägungen eine – wie auch immer geartete – Verbindung zum Text und zur Sprache eigen. Dadurch bieten die vokalmusikalischen Termini, die sich als musikalische Fachbegriffe im transnationalen Musikdiskurs in Europa etablierten, in der Regel auch zahlreiche literaturwissenschaftliche, sozialgeschichtliche oder kulturwissenschaftliche Anknüpfungspunkte und verweisen auf Verflechtungen mit anderen Disziplinen.

Ein Ergebnis solcher Untersuchungen sind detaillierte Begriffsprofile der entsprechenden Termini. Dabei gilt es Wechselwirkungen zwischen musikalischer Begriffs- und Sachgeschichte aufzuspüren und die Verbreitung der Fachbegriffe in der europäischen Kulturlandschaft exemplarisch zu untersuchen. Daraus resultiert ein Panorama musikgeschichtlicher Verflechtungen im europäischen Kontext, gewissermaßen ein musikterminologisches Mapping, das jenseits des begriffsgeschichtlichen Tableaus auch weitere Bezugsebenen wie Migrationsstrukturen, Disziplinenvielfalt und kulturelle Kontexte repräsentiert.


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[1] Aus historischen Gründen wir hier nur die männliche Form verwendet.

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