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Roboterkatze, Tuk-Tuks und Verfassungen: Aspekte der japanisch-thailändischen Beziehungen

Dr. David M. Malitz

Vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen wie der Klimakrise, der Digitalisierung und der Erschließung neuer wirtschaftspolitischer Partnerschaften haben die Länder Südostasiens zunehmend an geopolitischer Bedeutung gewonnen. Weniger bekannt sind jedoch die Verflechtungsgeschichten zwischen diesen Ländern und denen Ostasiens. David M. Malitz forscht am Deutschen Institut für Japanstudien in Tokyo zu japanisch-thailändischen Beziehungen und ihren historischen Verankerungen.


Der japanische Roboterkater Doraemon

Doraemon, der aus der Zukunft stammende japanische Roboterkater, findet sich in Thailand an den unerwartesten Orten: in Krankenwägen, auf Tempelgemälden und als Opfergabe in Stofftierform für Schutzgeister. Auch bei Konsumartikeln für Kinder ist Doraemon präsenter als Mickey Mouse. Ebenso erfreut er sich in anderen Ländern Asiens großer Beliebtheit. So wurde der blau-weiße Kater im Jahr 2008 offiziell vom japanischen Außenministerium zum ersten „anime ambassador“, zum Botschafter für japanische Zeichentrickkultur, ernannt. In Thailand wurde Doraemon durch Übersetzungen japanischer Manga und Anime seit Anfang der 1980er Jahre bekannt. In Folge der Aufwertung des Yens im Jahr 1985 begannen in dieser Zeit japanische Investitionen in das südostasiatische Land zu strömen. Diese trugen maßgeblich dazu bei, dass Thailand im Jahr 2011 in die Kategorie der Länder mit mittleren Einkommen aufstieg. Heute ist Japan weiterhin der wichtigste Investor.

Die sich intensivierenden wirtschaftlichen Verflechtungen haben die thailändische Alltagskultur über die Popkultur hinaus geprägt. Japanisches Essen ist in Thailand die wahrscheinlich beliebteste ausländische Küche, und grüner Tee ist seit Jahren als Erfrischungsgetränk fest etabliert – im Gegensatz zu Japan jedoch häufig extrem stark gesüßt. Auch ein nur kurzer Aufenthalt in Thailand zeigt, dass der Straßenverkehr des südostasiatischen Königreiches durch japanische Automobil- und Motorradmarken geprägt ist. Die Mehrzahl dieser Fahrzeuge wird in Thailand produziert.

Japanisch-thailändische Handelsbeziehungen und der japanische Abenteurer Yamada Nagamasa

Der Beginn direkter Kontakte zwischen den japanischen Inseln und der Region des heutigen Thailands geht aber viel weiter zurück. Er wird üblicherweise auf das späte 16. Jahrhundert datiert. Im frühen 17. Jahrhundert gab es dann bereits einen regen Handel zwischen Ayutthaya, der Hauptstadt des damaligen Königreichs Siam, und Häfen auf der südjapanischen Insel Kyushu. In Ayutthaya entstand auch eine japanische Siedlung, deren Bewohnerinnen und Bewohner in den 1620er Jahren unter ihrem Hauptmann Yamada Nagamasa am Hof zu Macht und Reichtum gelangten. Durch Geschichten über seine Abenteuer blieb Yamada in seiner Heimat bis in das 19. Jahrhundert hinein bekannt und wurde im kaiserlichen Japan zu einem Urvater der japanischen Expansion nach Südostasien stilisiert. Bis in die Gegenwart werden populärkulturelle Werke über ihn verfasst, in denen der Abenteurer auch als gemeinsamer Anknüpfungspunkt der japanisch-thailändischen Beziehungen dient.

Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein, also lange nach der Einführung strenger Handels- und Reisebeschränkungen im Japan der Edo-Zeit, segelten siamesische Schiffe nach Nagasaki, um dort Handel zu treiben. Japanisches Kunsthandwerk und japanische Waffenschmiedekunst wurden im Siam der Frühmoderne sehr geschätzt und auch kulinarische Einflüsse lassen sich belegen. In Japan wurden hingegen in großen Mengen Hirschleder und die Häute von Rochen und Haien für die Herstellung von Rüstungen und Waffen aus Siam importiert, auch durch die Niederländische Ostindien-Kompanie.

Das kaiserliche Japan als gesellschaftspolitisches Vorbild im späten 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert entgingen sowohl Japan als auch Siam der Kolonisierung. Während das Kaiserreich Japan jedoch schnell zu einer eigenständigen Großmacht aufstieg, blieb Siams Souveränität durch ungleiche Verträge mit den Kolonialmächten, einschließlich Japan, bis in die späten 1930er Jahre beschränkt. Wie auch in anderen „halbkolonialisierten“ Ländern wurde in Siam das kaiserliche Japan nach den Siegen über das chinesische Kaiserreich und Russland zu einem Vorbild für eine erfolgreiche „Modernisierung“. Unter König Chulalongkorn (1853-1910, Regierungszeit: 1868–1910), der fast zeitgleich mit dem japanischen Kaiser Meiji regierte (1852–1912, Regierungszeit: 1867–1912), wurden im Jahr 1887 nicht nur diplomatische Beziehungen etabliert, sondern auch die modernen Institutionen in Japan studiert, japanische Berater und eine Direktorin und Lehrerin für eine Palastschule eingestellt sowie japanische Waffen und Kriegsschiffe gekauft. Kritikerinnen und Kritiker der absoluten Monarchie des südostasiatischen Königreiches schrieben hingegen über die japanische Verfassung von 1889 und das dortige im Jahr 1890 eröffnete Parlament, welche sie als das Fundament des Aufstiegs des ostasiatischen Landes zu einer Großmacht interpretierten.

Thailand im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit

Die kaiserlich-japanische Verfassung war schließlich eine wichtige Vorlage für Thailands erste „permanente“ Verfassung nach der siamesischen Revolution von 1932. Ganz konkret beruht die sakrosankte Stellung des Königs, an der auch in allen folgenden Verfassungen festgehalten wurde, auf dem japanischen Vorbild. In den späten 1930er Jahren kam eine autoritäre Regierung an die Macht, die vom europäischen Faschismus beeinflusst war. Während des Zweiten Weltkrieges war das im Jahr 1939 offiziell in Thailand umbenannte Königreich unter Feldmarschall Phibun Songkhram (1897–1964) mit Japan alliiert. Im Gegensatz zu anderen Ländern Ost- und Südostasiens blieb Thailand somit eine brutale Besatzung erspart, die die Beziehungen zu Japan in der Nachkriegszeit hätte überschatten können. Die innenpolitischen Gegner Phibuns nutzten die Allianz jedoch, um sich als „Freie Thais“ die Unterstützung der Alliierten zu sichern. Thailand wurde so als von Japan besetztes und nicht besiegtes Land anerkannt. Phibun gelangte nach einem Staatsstreich schnell wieder an die Macht, wurde aber seinerseits im Jahr 1957 aus dem Amt geputscht. Er verbrachte seinen Lebensabend im Exil in Japan.

In der Nachkriegszeit kehrten japanische Unternehmen schnell nach Thailand zurück, wobei sie persönliche Beziehungen aus der Kriegszeit nutzen konnten. Aus dieser Zeit stammen auch die beiden symbolhaft für den Thailandtourismus stehenden Fahrzeuge: Die als Tuk-Tuk bekannte Motorradrikscha wurde erstmals Ende der 1950er Jahre aus Japan eingeführt. Teilweise finden sich noch jahrzehntealte Modelle außerhalb Bangkoks. Das aufgrund der langen Antriebswelle und des freiliegenden Motors ebenso manövrierfähige wie laute Long-Tail-Boot (siehe Titelbild und Bildnachweis am Ende des Textes) ist zwar eine originäre thailändische Erfindung, aber ohne den Massenvertrieb günstiger japanischer Motoren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hätte sich diese Innovation niemals in diesem umfangreichen Maße verbreiten können.

Die geopolitische Bedeutung japanisch-thailändischer Beziehungen

Trotz ihrer Bedeutung und Vielschichtigkeit haben die japanisch-thailändischen Beziehungen, wie auch Japans Beziehungen zu anderen Ländern in Südostasien, außerhalb Japans bisher noch wenig Beachtung sowohl in der Forschungsliteratur als auch im öffentlich-medialen Diskurs erfahren – eine Ausnahme bilden Direktinvestitionen. Dies liegt unter anderem daran, dass Japan und Thailand in verschiedenen Regionen verortet werden, was sich auch in der Organisation von Forschungsprojekten widerspiegelt. Es erscheint vor dem Hintergrund einer anwachsenden geopolitischen Bedeutung Südostasiens und der Identifikation sowohl Japans als auch der südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) als Partner von zunehmender Bedeutung im „Indopazik“ jedoch angebracht, den Beziehungen zwischen einzelnen Staaten in der Region einschließlich deren historischen Verankerungen mehr Beachtung zu schenken.


Titelbild:Long-Tail-Boot am Strand von Hua Hin (die lange Antriebswelle wurde nach vorne auf das Boot gedreht). © David M. Malitz.

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