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Ziemlich beste Feinde: Kriegsgefangenschaft im Siebenjährigen Krieg

Leonard Dorn

Gefangene verwalten war eine zentrale Herausforderung für alle in den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) involvierten europäischen Mächte. Mehr als eine Viertelmillionen Menschen durchliefen Kriegsgefangenschaft, einige sogar mehrmals. Andere waren an den komplexen Verhandlungen zur Freilassung und zum Austausch von Gefangenen beteiligt. Leonard Dorn vom Deutschen Historischen Institut Paris untersucht die vielfältigen Erfahrungen der Gefangenen sowie der Personen, die Gefangene in ihre Gewalt gebracht hatten (Überwinder), und stellt vier typische Perspektiven vor.


Eine Schlacht, zwei Blickwinkel: Soldat Grotehenn und Generaladjutant von Reden

Am Nachmittag des 24. Juni 1762 verließ in Hessen der Braunschweiger Soldat Johann Heinrich Ludewig Grotehenn in einer Ruhepause sein Lager und kehrte aus Neugier zum Schlachtfeld von Wilhelmsthal zurück, das sich über zwei Meilen durch Gebüsche und Wald erstreckte. Er beschrieb ein wüstes Bild: Überall lagen französische Verwundete und Tote, viele hatten durch Kanonenkugeln zerschmetterte Arm- und Beinknochen. Er beobachtete, wie Teile seiner Armee auf eigene Faust die Wehrlosen plünderten, aber bemerkte auch die Anwesenheit von Suchtrupps, die in offizieller Mission die Franzosen ausfindig machen, sie versorgen und der Gefangenschaft zuführen sollten. Grotehenn hob hervor, dass die feindliche Nachhut in Gefangenschaft genommen worden war und dass das gesamte Gepäck der französischen Armee zur Beute wurde. Die Truppen des französischen Königs hatten sich teils als geschlossene Einheiten ergeben, teils wurden kleine Gruppen gefangen genommen und in das Lager der Überwinder gebracht. Grotehenn zeigte Mitleid mit den in ihrem Blut Zurückgelassenen.

Die Perspektive des hannoverschen Generaladjutanten Johann Wilhelm von Reden war hingegen eine ganz andere: Er betonte in einem Bericht an seinen Befehlshaber die gute Organisation der Gefangennahme. Er bereitete alles für den Vollzug eines Gefangenenaustausches vor und ließ dazu die Gefangenen zählen und Listen erstellen. Denn die Franzosen sollten in virtuelle Gefangenschaft geschickt werden. Das bedeutete, dass sie an die französische Armee überstellt wurden und erst wieder kämpfen durften, wenn eine gleiche Anzahl gegnerischer Soldaten ausgeliefert worden war.

Generaladjutant Reden war außerdem für das Aussenden der vom Braunschweiger Soldaten Grotehenn bemerkten Suchtrupps verantwortlich. Reden hatte hessische und braunschweigische Infanteristen und britische Kavallerie in Begleitung einiger Chirurgen in den Wald gesandt, um dort Verwundete aufzusammeln, ihre Wunden direkt zu verbinden und sie zu den übrigen Gefangenen zu bringen. Außerdem verpflichtete er ortsansässige Bauern, die Toten aufzulesen und zu verscharren. Redens Bemühungen, die Folgen der Schlacht zu kontrollieren, standen aber in keiner Weise in Relation zum Ausmaß des Blutbads. Grotehenn notierte, dass viele Schwerverwundete bis zum Einbruch der Nacht nicht geborgen wurden und manche darum baten, von ihrem Leid erlöst zu werden.

Der feine Unterschied: Offiziere und gemeine Soldaten

Die Schlacht bei Wilhelmsthal und ihre Gefangenen sind Teil einer im öffentlichen Bewusstsein in Vergessenheit geratenen Geschichte des Krieges, der Gewalt und der ständischen Hierarchien, aber auch der Mobilität, der Geselligkeit und der Globalisierung. Das alles war Teil eines von europäischen Mächten global ausgetragenen Konfliktes, in dem die Königreiche Großbritannien und Frankreich um die Vorherrschaft in Amerika, Afrika und Südasien rangen.

Im hessischen Mittelbergland hatten sich zwei Armeen des Königs von Frankreich mit der alliierten Armee, einer vom britischen König finanzierten und aus den Kontingenten verschiedener, überwiegend deutscher Fürstentümer zusammengesetzten Streitmacht, eine Schlacht geliefert. So schrecklich die Folgen der Schlacht aus der Nahsicht des Braunschweiger Soldaten Grotehenn waren, so positiv wurden manche Handlungsmuster im Umgang mit den Gefangenen beurteilt.

Die alliierten Sieger achteten die sozialen und militärischen Hierarchien der in ihrer Gewalt befindlichen französischen Truppen und halfen den etwa 150 französischen Offizieren, ihre soziale Vorrangstellung auch in Gefangenschaft aufrechtzuerhalten. Der Umgang mit Gefangenen von Stand bot den adligen Offizieren Gelegenheit, Großmut unter Beweis zu stellen. Die wichtigsten französischen Offiziere wurden nach der Schlacht vom alliierten Feldherrn, Herzog Ferdinand von Braunschweig, an seine Tafel geladen und mit Taschenuhren, Degen und Schnupftabakdosen beschenkt (sie waren bei der Gefangennahme vermutlich ausgeplündert worden).

Die meisten der knapp 3.000 einfachen Gefangenen wurden zwei Tage nach der Schlacht mit einer Reitereskorte auf den Rückmarsch zur französischen Armee geschickt und an die Ihrigen übergeben. Die sichere Verwahrung der Gefangenen war keine Herausforderung gewesen; schließlich konnten die Besiegten darauf vertrauen, schnell ihre Freiheit wiederzuerhalten.

Der dritte Blickwinkel: ein schlechter Tag für Kriegskommissar de La Salle

Es mag vielleicht seltsam erscheinen, dass das Blutbad auf dem Schlachtfeld und die Verständigung zwischen Siegern und Gefangenen nahtlos aneinander anknüpften. Am wenigsten dürfte dies einen Zivilbeamten bei der französischen Armee gewundert haben. Kriegskommissar Pierre-Nicolas de La Salle unterstand dem französischen Kriegsminister in Versailles und hatte soeben in der Schlacht bei Wilhelmsthal seine Kutsche und sein Gepäck als Beute an die Alliierten verloren. Kriegsgefangene und Verhandlungen über sie waren seit Jahren sein Spezialgebiet. Er war der einzige Beamte bei den Armeen des französischen Königs, der auf Austauschverhandlungen und Gefangenenangelegenheiten spezialisiert war.

Um sein Unglück noch zu vergrößern, hatten die alliierten Truppen zusammen mit dem Gepäck der französischen Armee auch Brotrechnungen für zuvor gefangene alliierte Soldaten erbeutet. Die französischen Überwinder versorgten Gefangene nicht auf eigene Kosten, sondern zahlten Vorschüsse, die sie sich vom alliierten Feind gegen Vorlage der Rechnungen erstatten ließen. Ohne die Brotrechnungen drohte die französische Armee auf den Kosten für alliierte Gefangene sitzen zu bleiben.

Aus Versailles erhielt de La Salle einen Monat nach der Schlacht einen ungehaltenen Brief des Kriegsministers. Er täte gut daran, in Zukunft mehr darauf zu achten, dass solche Dokumente nicht in die Hände der Feinde fielen. Solche kleinen Unstimmigkeiten konnten das entscheidende Körnchen Sand im Getriebe des Gefangenenaustausches sein, der Vereinbarungen darüber scheitern ließ. In diesem Fall wurde das Austauschgeschäft jedoch weitergeführt, bis im November 1762 ein Waffenstillstand das Problem löste.

Die vierte Perspektive gab es für drei Pence: menschliche Beute als Medienereignis

Die Schlacht, die Gefangenen und die Beute waren ein Medienereignis, das vor dem Hintergrund der Berichterstattung über den globalen Konflikt der europäischen Mächte gelesen wurde. In London wurde der Sieg durch das Donnern der Kanonen im St. James’s Park und auf dem Tower of London verkündet. Es folgten große Festlichkeiten, die mit abendlichen Freudenfeuern beschlossen wurden. Ein an der Schlacht beteiligter Offizier brachte die, den Toten und Gefangenen abgenommenen, Trophäen aus Hessen über den Ärmelkanal.

Die englische Hofzeitung druckte detailliert Regimenter, Rang und Anzahl der Gefangenen ab und befriedigte für wenige Pence die Nachrichtengier der Öffentlichkeit. Weitere Zeitungsberichte ließen die Leserinnen und Leser daran teilhaben, wie die französischen Gefangenen nach der Rückkunft bei der französischen Armee weiter in Richtung Rhein – mit den Grenzen ihres Königreichs als Ziel – marschierten. In den Augen der Zeitgenossen war der ‚humane‘ Umgang mit Kriegsgefangenen ein Zivilisationsfortschritt. Nachrichten über Fürsorge, Gastmähler und Gefangenenauswechslungen wurden im Zeitalter der Aufklärung häufig als positiver Aspekt der zeitgenössischen Kriegspraktiken gewertet.

Kriegsgefangenschaft im Siebenjährigen Krieg von vier Standpunkten aus betrachtet

Vier sehr unterschiedliche Perspektiven auf die Schlacht bei Wilhelmsthal haben die Komplexität und die Herausforderungen des Phänomens Kriegsgefangenschaft verdeutlicht. In meinem Projekt gehe ich der Frage nach, welche Personen in Kriegsgefangenschaft insgesamt involviert waren und wo Kriegsgefangenschaft stattfand. Im Fall der Gefangenen bei Wilhelmsthal spannt sich der Bogen von einem Braunschweiger Soldaten in Hessen bis hin zu den Leserinnen und Lesern englischer Zeitungen. Es geht außerdem darum, für den Siebenjährigen Krieg spezifische Handlungsmuster zu erkennen und die dahinterstehenden gesellschaftlichen Logiken zu verstehen. Eine erstaunlich große Zahl von Menschen war von dem Krieg betroffen oder in diesen involviert. Mein Projekt macht die große Bedeutung von Kriegsgefangenschaft im Siebenjährigen Krieg wieder sichtbar.

Bildnachweise

Bildnachweis Vorschaubild: Holzvertäfelung in der Grande galerie des actions de Monsieur le Prince auf Schloss Chantilly. Foto: Leonard Dorn, CC BY-SA 4.0.

Bildnachweis Header: Detail aus einem Ölgemälde, das einen toten oder schwerverwundeten französischen Soldaten zeigt. Jean-Baptiste Le Paon (zugeschrieben): Episode aus dem Siebenjährigen Krieg (Detail), Öl auf Leinwand, um 1769, Musée Condé, Chantilly. Foto: Leonard Dorn, CC BY-SA 4.0.

Bild 1: Der Ort der intensivsten Kämpfe und der meisten Gefangenen: In einem Waldstück oberhalb des Jagdschlosses Wilhelmsthal wurden französische Einheiten (grün) von Hannoveranern und Briten (rot), Braunschweigern (gelb) und Hessen (blau) abgeschnitten und ergaben sich nach einem Infanteriekampf zu Kriegsgefangenen. Friedrich Wilhelm Bauer/Jacob van der Schley: Plan der Schlacht von Wilhelmsthal 1762 (Detailansicht), Kupferstich, 1763, Source gallica.bnf.fr / BnF, Permalink: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b53202568d.

Bild 2: Details aus einem Ölgemälde: ein Husar flieht vor anlegenden französischen Infanteristen. Jean-Baptiste Le Paon (zugeschrieben): Episode aus dem Siebenjährigen Krieg (Detail), um 1769, Musée Condé, Chantilly. Foto und Collage: Leonard Dorn, CC BY-SA 4.0.

Bild 3: Detailansicht der Titelseite der englischen Hofzeitung. Das Bild zeigt eine numerische Gefangenenliste, die in der London Gazette abgedruckt wurde und den Sieg dokumentierte. The London Gazette Nr. 10225, 10. Juli bis 13. Juli 1762. Foto: The Gazette, Contains public sector information licensed under the Open Government Licence v3.0.

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