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Alte Herrscher des Mittelalters: Könige, Dogen, Päpste – Zwischen Umsicht, Beständigkeit und körperlich-geistigem Verfall

Dr. Christian Alexander Neumann

Zu alt oder doch noch in der Lage zu regieren? Diese Frage stellte sich nicht nur bei den letzten beiden Wahlkämpfen um das US-Präsidentenamt 2016 und 2020. Auch schon im Mittelalter beschäftigten sich die Wähler der Dogen und Päpste mit diesem Problem.

Venedig, 1. November 1457: Nach 34 Jahren Herrschaft stirbt der Doge Francesco Foscari im Alter von 84 Jahren. Der venezianische Chronist Marin Sanudo berichtet: „Als Foscari das Glockengeläut hörte, das anlässlich der Wahl seines Nachfolgers erschallte, öffnete sich eine Ader in seinem Bauch und sein Körper füllte sich mit Blut. Andere berichten, er habe an einem Tumor an der Zunge gelitten, der bis zur Lunge reichte. An zu viel Schleim sei er erstickt“. Was war passiert, dass ein Doge ein solch tragisches Ende erlitt? Oder sagen wir besser, erlitten haben soll, denn eine historisch abgesicherte Sicht auf Foscaris Geschichte existiert nicht.

Rückblende: Glorie und Tragik

Francesco Foscari war 1423 zum Dogen gewählt worden. Mit knapp 50 Jahren war er für venezianische Verhältnisse ‚jung‘ in diesem Amt, denn das Durchschnittsalter der Dogen (von lateinisch „dux“ ‚Anführer‘ oder ‚Herzog‘), die während des Spätmittelalters (ca. 1250–1500) gewählt wurden, lag bei ca. 65. Foscari erwies sich als ziemlich langlebig. Mehr als 30 Jahre war er das Gesicht der Republik nach innen und außen. Ein hohes Alter bei der Wahl sollte garantieren, dass die Regierungszeiten der Dogen nicht zu lange dauerten. Dadurch erfolgte ein regelmäßiger Wechsel an der Staatsspitze und immer andere Dynastien eines gleichwohl begrenzten Personenkreises kamen zum Zuge. Schon lange vor Foscari hatten die venezianischen Adligen der Macht ihrer Dogen zahlreiche Grenzen auferlegt. Jeder neue Doge musste einen Eid schwören. Diese „Regeln“ galten dann auch für seine Familie. Niemand sollte zu mächtig und somit zum „Tyrannen“ werden, wie man damals sagte.

Foscaris Sohn Jacopo aber setzte sich über diese Regeln hinweg: Er unterhielt Briefwechsel mit ausländischen Fürsten und nahm Geschenke von ihnen an. Daraufhin schaltete sich der berühmt-berüchtigte Rat der Zehn ein, der sich um die Sicherheit des Staates kümmerte, und verurteilte ihn. Zuletzt warfen die Zehn Jacopo den Mord an einem Patrizier vor, der ihm letztlich aber nicht nachgewiesen werden konnte. Man verurteilte ihn 1451 zu lebenslangem Exil auf Kreta, nach erneuter Korrespondenz mit ausländischen Fürsten ein zweites Mal. Der letzte Abschied zwischen Vater und Sohn fand bei den Zeitgenossen ein breites Echo. Wer zu Gunsten Foscaris schrieb, machte den über 80-jährigen Mann zu einem Märtyrer: äußerlich unbeeindruckt und stark, aber innerlich gebrochen und vermutlich auch körperlich krank, schickte er seinen Sohn ins Exil, um so den Willen des Staates zu erfüllen. Jacopo verstarb im Januar 1457.

Daraufhin zog sich der Doge zunehmend aus dem politischen Tagesgeschäft zurück und bot damit seinen Gegnern einen triftigen Grund, ihn abzusetzen. Im Oktober 1457 überschlugen sich die Ereignisse: Foscari wurde durch den Rat der Zehn so stark unter Druck gesetzt, dass er schließlich nachgab und „freiwillig“ zurücktrat, wie es offiziell hieß. Bereits vielen Zeitgenossen in Venedig und außerhalb war klar, dass Foscari aus dem Amt gedrängt wurde. Zwei Erzählstränge bildeten sich: der freiwillige Rücktritt aus Altersgründen und die gewaltsame Absetzung eines glorreichen und geschundenen Dogen, dessen Ehre verletzt wurde. Die Vorstellung, ein Doge regiere bis zu seinem Tod, war im Spätmittelalter fest verankert. Gerade in seinem Alter habe er eigentlich Mitleid verdienen müssen; seine Lebensleistung um die Republik habe man mit Füßen getreten.

Der hier nur angerissene Fall Foscari bietet sehr viele Einsichten in mittelalterliche Vorstellungen vom Alter und dessen Umgang in der Politik. Die Fälle anderer Dogen offenbaren andere Facetten des Themas. Die unterschiedlichen Erkenntnisse fügen sich zu einem vollständigeren Bild zusammen. Obwohl gemeinhin bekannt ist, dass die Dogen Venedigs in der Regel alt waren, als sie gewählt wurden, hat man Altersbilder und Alterspraxis bisher nur wenig systematisch erforscht.

Alter und Macht

Venedigs Dogen sind ein Beispiel für alte Herrscher, sicherlich ein besonderes durch ihre dichte Abfolge. Ähnlich verhält es sich bei den Päpsten im Spätmittelalter, von denen die meisten bei ihrer Wahl bereits alt waren. Zum Tableau alter Herrscher gehören neben diesen weltlichen und geistlichen Wahlsystemen auch Monarchien, wie beispielsweise die englische, welche die Nachfolge erblich-dynastisch regelten. Durch die Untersuchung von Fallstudien aus diesen drei Bereichen möchte ich die Frage beantworten, ob und wie das hohe Alter der Herrschenden ihr Handeln beeinflusst hat. Über konkrete Fälle hinaus befasse ich mich mit Vorstellungen von Alter(n) und Macht und ziehe dazu eine Vielzahl verschiedener Quellen heran, z. B. Fürstenspiegel, eine Art Ratgeberliteratur für Herrscher, medizinische Werke, Texte über die Verlängerung des Lebens, philosophische Werke und andere. Nur so lassen sich die konkreten Fälle mit den zeitgenössischen Denkvorstellungen in Beziehung setzen: erzählende Texte über Herrscher knüpfen in verschiedenem Maße daran an und alte Herrscher handelten im Einklang mit oder aber in Widerspruch zu diesen Ideen.


Gerontologie als zusätzlicher Impulsgeber

Das Thema der alten Herrscher ließe sich allein aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft betrachten. Das innovative Potential liegt aber darin, das Studium der Quellen durch die Perspektive der modernen Gerontologie zu bereichern. Bei der Gerontologie handelt es sich um das Wissenschaftsfeld, das sich schwerpunktmäßig mit dem Alter(n) befasst. Nicht alles, was die moderne Gerontologie interessiert, lässt sich an mittelalterlichen Quellen untersuchen, manches aber durchaus. Einen solchen Ansatz haben Historikerinnen und Historiker bisher nur sehr oberflächlich verfolgt, wenn überhaupt. Das Thema Alter bietet den Forschenden also noch viele neue Entdeckungen, in Bezug auf Herrscher, aber auch darüber hinaus: Das Alter gehört alles andere als zum alten Eisen.

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