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Interkulturelle Musikbegegnungen zwischen Europa und dem Osmanischen Reich

PD Dr. Judith I. Haug

Musik wird häufig als verbindendes Element zwischen Menschen verschiedenster Länder und Kulturen wahrgenommen. Trotz dieses verbindenden Charakters, der der Musik zugeschrieben wird, benötigt sie Erklärung und Vermittlung, gerade in interkulturellen Kontexten. Judith I. Haug untersucht musikalische Begegnungserfahrungen zwischen Europa und dem Osmanischen Reich in der Frühen Neuzeit, die von „Fremdheit“ und „Faszination“ zugleich geprägt waren.


Musik ist ein Kernbestandteil des kulturellen Erbes und besitzt zahlreiche Bedeutungsebenen. Sie wird gerne als universelle „Sprache ohne Worte“ beschrieben, mit der sich Menschen über geographische, politische oder kulturelle Grenzen hinweg verständigen können. Dieser zweifellos schöne Gedanke lässt sich jedoch durch musikwissenschaftliche Forschung weder historisch noch gegenwärtig belegen (wenn man von der offensichtlich verbindenden Funktion gemeinsamen Musizierens in multinationalen Ensembles absieht). Ähnlichkeit zwischen Sprache und Musik besteht jedoch auf andere Weise: Auch Musik erfordert Übersetzung und Vermittlung, um von Menschen verstanden zu werden, die eine andere musikalische Muttersprache haben. Sie besitzt Grammatik (ein theoretisches System) und Vokabeln (einen Tonvorrat), Idiome (Stile), Gattungen und Ausdrucksformen.

Französische Erfahrungen mit „fremder“ osmanischer Musik

Anschauliche Beispiele für die Unverständlichkeit „fremdsprachlicher“ Musik lassen sich in den vielfältigen Begegnungen zwischen Europa und dem Nahen Osten während der Frühen Neuzeit finden. Während dieser Epoche wurde das Osmanische Reich zwar in vielerlei Hinsicht als fundamental anders wahrgenommen, befand sich aber durch Handel, militärische Auseinandersetzungen und internationale Abkommen in ständigem Kontakt insbesondere mit Frankreich, dem Heiligen Römischen Reich sowie den Stadtstaaten Italiens. Somit war es Teil des Gleichgewichts der Mächte. Manche dieser Kontaktaufnahmen wurden dokumentiert. Vor allem Gesandtschaftsberichte, aber auch die persönlichen Briefe und Tagebücher von Diplomaten sowie die Reiseberichte von Privatpersonen erlauben es heutigen Forschenden, sich in die Gedankenwelt der Autoren und deren intendierten Publikums hineinzuversetzen. Mithilfe dieser Dokumente können die Forschenden die Bewertungen, Prioritätensetzungen und Interessen der Autoren versuchen zu ergründen.

So schrieb Antoine Galland, Sekretär des französischen Botschafters in Konstantinopel 1673 in seinem Tagebuch über die osmanische Militärkapelle (mehterhane): „[…] leur harmonie, qui plaist si fort aux Turcs, n’est aucunement du goust des oreilles francoises“ („ihr Zusammenspiel, das den Türken so sehr gefällt, ist überhaupt nicht nach dem Geschmack der französischen Ohren“). Konfrontiert mit Musik, die ihm fremd war und seinen Erwartungen an Klangschönheit nicht entsprach, erkannte er dennoch die Gültigkeit ihres ästhetischen Wertes für das osmanische Publikum an. Der Juwelier Jean Chardin machte auf seiner Iranreise eine ähnliche Erfahrung: „Le concert en plaisoit beaucoup à l’assemblée. Elle en paroissoit ravie: pour moy je n’y trouvois rien d’agreable, il me sembloit au contraire rude & malconcerté“ („Das Konzert gefiel der Gesellschaft sehr. Sie schien begeistert; ich jedoch fand darin nichts Angenehmes, im Gegenteil kam es mir grob und dissonant vor“), berichtete er in seiner 1686 gedruckten Reisebeschreibung. Leider bleibt es bei diesen knappen Sätzen. Die Autoren reflektierten nicht weiter, warum die jeweiligen Werturteile und gefühlsmäßigen Reaktionen so unterschiedlich ausfallen.

Osmanische Militärmusik und diplomatische Zwischenfälle

Neben der Musik und oft sogar ausführlicher als die Musik finden andere Arten von Klang Erwähnung in europäischen Quellen über das Osmanische Reich. Diplomatische Korrespondenzen und Berichte galten wohl nicht als angemessener Ort für persönliche Erlebnisse, aber wenn Musik und Klang in offiziellen Kontexten eine Rolle spielten, erhielten sie eine politische Bedeutung und mussten demnach erwähnt werden. Dann erlauben die Quellen wieder Einblick in Wahrnehmungen, Empfindungen und Bewertungen, die mit „fremden“ Klängen verbunden wurden. In interkulturellen Begegnungen spielte vor allem die oben erwähnte Militärmusik, die in ganz Europa eine exotistische Mode auslöste (siehe als prominentes Beispiel die Oper Die Entführung aus dem Serail von Wolfgang Amadé Mozart), eine bedeutende Rolle.

Um seine eigene, französische Klangsphäre zu definieren, führte Botschafter Charles-Marie-François Olier, Marquis de Nointel, der Arbeitgeber Antoine Gallands, sechs livrierte Trompeter mit sich. Sie spielten bei seinem Einzug in das Botschaftsgebäude, aber was sie spielten, wurde nicht vermerkt. Mit größter Regelmäßigkeit schrieben Diplomaten und Reisende jedoch über Salutschüsse.

Bei Staatsfeierlichkeiten, beispielsweise anlässlich einer wichtigen Eroberung, wurde aus allen Rohren gefeuert. Die Kanonenschläge in den Hafen von Konstantinopel einlaufender Schiffe müssen ein ständiger Teil der städtischen Klanglandschaft (soundscape) gewesen sein. Als Teil des Protokolls bei der Umrundung der Landspitze, auf der sich der Topkapi-Palast befindet (die heute so genannte Historische Halbinsel), wurde von ausländischen Schiffen nämlich verlangt, Salut zu schießen. Wurde dies unterlassen, kam es zu diplomatischen Zwischenfällen – so geschehen bei dem 1670 erfolgten Amtsantritt des Marquis de Nointel. Die Amtszeit des kunstliebenden Marquis, der Freude am Geldausgeben hatte, stand unter keinem guten Stern – im Gegensatz dazu profitierte Antoine Galland von seiner Dienstzeit an der Botschaft in mehrerlei Hinsicht. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich erlangte er Berühmtheit durch seine Übersetzung der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. In Konstantinopel war er unter anderem mit der Suche nach Manuskripten betraut, die der „orientalischen Sammlung“ der königlichen Bibliothek in Paris einverleibt werden sollten. Dabei lernte er einen Dolmetscher namens Ali Ufuki kennen, aber das ist eine andere Geschichte.

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