Ich forsche derzeit zu zwei musikgeschichtlichen Themenschwerpunkten. Im ersten, „Osmanische Gesangstextsammlungen als Quellen für die Musikgeschichtsschreibung“, beschäftige ich mich mit der Frage, welche schriftlichen und mündlichen Methoden der Überlieferung und Wissensvermittlung Musiker*innen im Osmanischen Reich und darüber hinaus zur Verfügung standen und welche Auswirkungen Schriftlichkeit und Notation auf eine Musikkultur haben. Der zweite, „Interkulturelle Musikbegegnungen“, handelt von gegenseitiger Wahrnehmung und von musikalischer Darstellung des Anderen zwischen Europa und dem Osmanischen Reich. Das schließt transkulturelle Austauschprozesse genauso ein wie Exotismus und Orientalismus.

Meine Forschung spielt sich oft im Detail ab, wenn es zum Beispiel um die formale Analyse von Vokalwerken geht, oder wenn eine Lücke in einer Biografie geschlossen werden soll. Gleichzeitig zielt das Erkenntnisinteresse auf übergeordnete Konzepte allgemeinerer Natur, nämlich Bewahrung und Weitergabe von Wissen oder gegenseitige Wahrnehmung im Spannungsfeld zwischen Neugier und Ausgrenzung. Detailfragen entfalten sich zu großen, anschlussfähigen und inspirierenden Themen mit Relevanz für die Gegenwart. Außerdem habe ich große Freude an der Quellensuche, die oft detektivische Züge annimmt.

Meine Forschung erfordert den Umgang mit Texten in einer Vielzahl von Sprachen (Osmanisch, Türkisch, Persisch, Italienisch, Französisch, Lateinisch, Deutsch) und mit Quellen unterschiedlichen Typs (Musiknotationen, Gedichtsammlungen, Geschichtswerke, Reiseberichte, diplomatische Korrespondenz, Archivalien). Die Aufgabe ist, diese Quellen – physisch oder zunehmend auch in digitaler Form – in Bibliotheken auf der ganzen Welt zu finden, miteinander in Verbindung zu bringen und aus ihnen ein möglichst zusammenhängendes, wenn auch nicht immer widerspruchsfreies Bild der Vergangenheit herzustellen, aus dem sich Antworten auf meine Fragen ableiten lassen.

PD Dr. Judith I. Haug ist als Referentin zuständig für das Forschungsfeld „Musik im Osmanischen Reich und der Türkei“.