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Travelling Art Histories – Transregionale Netzwerke im Austausch zwischen Lateinamerika und Europa

Dr. Lena Bader

„Travelling Art Histories“ ist als mobiles Forschungsprojekt am DFK Paris entstanden. Es handelt von Begegnungen zwischen Lateinamerika und Europa. Welche Rolle aktuelle Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften spielen, wie es zur Idee der „Travelling Art Histories“ kam und welche Herausforderungen die Corona-Pandemie aktuell stellt, erklärt Lena Bader.

Jede Begegnung verrückt den eigenen Erfahrungshorizont. Für die Kunstgeschichte hat dieser simple Befund komplexe Folgen: Als Fach, das einen von vornherein transnational definierten Gegenstand behandelt und dennoch auf methodologischer Ebene sowohl sprachlich als auch kulturell konkret verortet ist, sieht sich die Kunstgeschichte im Zuge von Mobilitäts- und Zirkulationsphänomenen mit bedeutenden Herausforderungen an die eigenen Methoden und ihren Kanon konfrontiert.  Mit dem Forschungsschwerpunkt „Travelling Art Histories“ soll diesen Herausforderungen in einem bewusst transregional angelegten Rahmen nachgegangen werden: zwischen Lateinamerika und Europa. Die Initiative schreibt sich in einen grundlegenden Paradigmenwechsel der Geisteswissenschaften ein: die Sensibilisierung für kolonial bedingte Ein- und Ausschlussmechanismen. Das DFK Paris möchte aktiv an dieser Bewegung mitwirken und zur kritischen Verortung des Fachs beitragen.

Als Ort eines permanenten Austausches der (Wissenschafts-)Kulturen bietet das Deutsche Forum für Kunstgeschichte Paris dafür einen geeigneten Ausgangspunkt. Hier werden Ideengeschichte, Denkmodelle und künstlerische Praktiken in ihrer Vielfalt erfahrbar.  Austauschprozesse prägen die Arbeit am DFK Paris und fordern zu einer Perspektivierung und Situierung der eigenen Forschung auf. Vor diesem Hintergrund wurde das Vorhaben der „Travelling Art Histories“ ausgehend von einer Reihe von Fragen konzipiert:  Wie können wir von einem deutschen Institut in Paris aus über Lateinamerika arbeiten? Oder: Wie können wir nicht über Lateinamerika, sondern mit Lateinamerika arbeiten? Wie können wir Lateinamerika vor dem Hintergrund eines deutsch-französischen Dialogs denken (und vice versa)? Wie können wir hegemoniale Asymmetrien überwinden? Wie können wir Bestimmungen von Zentrum und Peripherie vermeiden? Wie können wir uns die Begegnung von Wissenschaftskulturen vorstellen? Wie sähe eine Kunstgeschichte aus, die sich die Frage der Nationalstaaten in kritischer Perspektive stellt? Oder, noch weiter: wo liegen die Grenzen und Möglichkeiten transregionaler Kunstgeschichte(n)?

Dialog und Begegnung

„Travelling Art Histories“ wurde im Sinne eines mobilen Forschungsprojektes um eine Reihe transregionaler Akademien herum konzipiert, die an jeweils wechselnden Orten in Lateinamerika stattfinden. Das Projekt wurde bewusst als ein Netzwerk zusammengestellt, das der Kolonialgeschichte geschuldete Asymmetrien reflektiert, aber nicht reproduziert. Es gilt, althergebrachte Vorstellungen von Zentrum und Peripherie kritisch aufzubrechen. Die wechselnden Standorte der Projekttreffen sollen eine Einbeziehung möglichst vieler Perspektiven gewährleisten und den Blickwechsel erleichtern. Im Mittelpunkt steht der Dialog, nicht Frontalunterricht. Es geht darum, die unterschiedlichen kulturellen kreativen Prozesse, Aneignungsstrategien und Übersetzungsmodalitäten, einschließlich widersprüchlicher und konfliktiver Transfermomente in transregionaler und transkultureller Perspektive zu diskutieren, statt künstlerische Tendenzen lediglich zu beschreiben und einander gegenüberzustellen. In bewusster Abgrenzung zu linearen, hierarchischen Erklärungsmustern und streng komparatistischen Studien zum Kunst- und Kulturtransfer, sollte die Komplexität und Vielschichtigkeit von Zirkulations- und Verflechtungsphänomenen herausgearbeitet werden. Die jeweiligen Themen der Akademie werden bewusst nicht von vorneherein durch methodische oder namentliche Akzentsetzungen im Sinne eines tonangebenden Kanons eingeschränkt, um stattdessen eine Vielfalt von Stimmen, Ansätzen und Ideengeschichten ansprechen zu können.

Es geht um die Begegnung verschiedener Möglichkeiten von Kunstgeschichte. Die Akademien sind demnach immer auch eine Übung in Dialog und Begegnung. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für jede/n einzelne/n, sich in Bezug auf seinen/ihren Kontext, Werdegang, singuläre Trajektorie zu positionieren, um sich selbst und sein/ihr Vokabular mit Blick auf seinen/ihren eigenen Denkhorizont zu kontextualisieren. Nur so kann ein Austausch stattfinden, der gleichermaßen vor Relativismus und Universalismus gewappnet wäre: in der doppelten Bewegung einer sich ihrer eigenen Verwurzelung bewussten interessierten Öffnung für den Dialog.

Transkulturalität und Mobilität

„Travelling Art Histories“ ist Teil des Forschungsfeldes „Transkulturalität und Mobilität“. Es widmet sich Projekten und Initiativen, für welche die Erfahrung von Begegnung als Moment von Theorie und Praxis konstitutiv ist. Diese Projekte und Initiativen stehen im Zeichen einer Kunstgeschichte, für die Wandelbarkeit und Diversität keine Störfaktoren, sondern grundlegende Aspekte jeder Kunst sind.

Bisher wurden vier transregionale Akademien realisiert: 2016 in São Paulo, zum Thema „Modernismen. Konzepte, Kontexte, Zirkulationen“, 2017 in Buenos Aires, zum Thema „Mobilität: Objekte, Materialien, Konzepte, Akteure“, 2019 in Mexico City zum Thema „Räume der Kunst: Konzepte und Wirkungen in und außerhalb Lateinamerikas“ und 2022 in Bogotá zum Thema „Plurale Zeitlichkeiten: Theorien und Praktiken der Zeit“

Transregionales Netzwerk Lateinamerika: Künste und Kulturen

Während der coronabedingten Reisebeschränkungen haben wir den Dialog auf anderem Wege fortgeführt: mit dem 2021 veröffentlichten Themenportal „Transregionales Netzwerk Lateinamerika: Künste und Kulturen“. Das Portal ist als partizipativer Blog konzipiert und erlaubt jedem Mitglied, einschlägige Informationen zur Forschung von Kunst und Kultur aus Lateinamerika zu veröffentlichen: Ausschreibungen, Ankündigungen, Publikationen, Veranstaltungen, Online-Ressourcen etc. Auf diesem Wege soll der länder- und regionenübergreifende Austausch auch im Digitalen weiterverfolgt und unterstützt werden. Über die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen hinaus schreibt sich der Blog in das große Projekt der transregionalen Akademien ein und appelliert an eine bestimmte Form der Forschung: eine Wissenschaft, die sich in der gemeinsamen Erfahrung einer Kunstgeschichte im Dialog konkretisiert und dazu eine Atmosphäre des Austauschs und des Zuhörens kultiviert.

Übersicht

Transregional Academy I, São Paulo 2016

“Modernisms: Concepts, Contexts, Circulations”

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Transregional Academy II, Buenos Aires 2017

“Mobility: Objects, Materials, Concepts, Actors”

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Round Table Travelling Art Histories, Paris 2018

Booklet 


Transregional Academy III, Mexico City 2019

“Spaces of Art: Concepts and Impacts In and Outside Latin America”

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Transregional Academy IV, Bogotá 2022

“Plural Temporalities: Theories and Practices of Time”

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Leitung: Lena Bader

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