Der Fokus meines aktuellen Forschungsprojekts liegt auf der sukzessiven Formung der italienischen Musikgeschichte anhand der ‚alten Musik‘ als nationalem Kulturgut im Zuge der Einheitsbildung bis hin zum Faschismus. Dabei konzentriere ich mich auf den Begriff von ‚alter Musik‘ als Geschichte stiftendem Element in ‚modernen‘ kulturhistorischen, auch politischen Kontexten. Besonders interessieren mich die damit einhergehenden Umdeutungsprozesse von Musikgeschichte, deren oftmals über Italien hinausweisende Hintergründe und spezifische historiografische sowie mediale Darstellungsformen von Musik.

Die Beschäftigung mit der italienischen Kulturgeschichte über einen längeren Zeitraum ist natürlich an sich reizvoll; zweitens auch das wachsende Bewusstsein für die Konstruktivität dieser Kulturgeschichte mittels Musik als Deutungsinstrument; drittens das Erkennen von personellen Netzwerken im gemeinsamen Bemühen um eine ‚alte Musikgeschichte‘ Italiens; viertens die Tatsache, dass die Forcierung der ‚alten Musikgeschichte‘ im Grunde ein disziplinär übergreifendes Projekt wurde, dem sich nicht nur Musiker, Musikbibliothekare oder Musikwissenschaftler annahmen, sondern auch viele weitere Akteure in Italien und darüber hinaus.

Das Projekt erfordert die permanente Reflexion von vermeintlich ‚stehenden‘ Begrifflichkeiten wie „Nation“ oder auch „alte Musik“, wohinter sich Bedeutungskomplexe verbergen, die das Ergebnis von historischen Konstruktionsprozessen sind und darum variabel ausfallen können. Dies im Umgang mit dem Material permanent im Hinterkopf zu behalten erscheint mir essenziell, um die Faktur von Musikgeschichte offen zu legen, anstatt sie einfach als neutral gesetzten Gegenstand zu behandeln, und schließlich auch die oftmals dahinter liegenden Partikularinteressen zu begreifen.

Dr. Carolin Krahn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Musikgeschichte am Deutschen Historischen Institut in Rom.